Archiv der Kategorie: Der Fall damals

Ermittlungen (9): Kürten im Fokus

Nach dem Mord an Gertrud Albermann und dem Auffinden der Leiche von Maria Hahn meldete sich ein gewisser Wilhelm Hofer bei der Kriminalpolizei und verdächtigte den damals völlig unbekannten Peter Kürten der Tat. Er gab an, mit Peter Kürten 1928 einige Zeit in Untersuchungshaft in Düsseldorf-Derendorf gesessen zu haben. Die beiden waren Zellengenossen und waren „als Hausknechte“ im Gefängnis beschäftigt. Kürten vertraute Hofer und erzählte ihm von vergangenen „Liebesabenteuern“ und auch von einer der Haft vorangegangenen Bekannschaft eines Mädchens aus dem Zoo-Viertel. Er phantasierte auch von sexuellen Handlungen (u.a. von Bissen und von fließendem Blut), die Hofer als pervers bezeichnete. Eine Angewohnheit Kürtens in der Haft sei gewesen, jemandem, der ihm entgegen kam, plötzlich nach dem Geschlechtsteil zu greifen, was er auch bei seinem Zellengenossen tat.
Angeblich bekam Kürten in der Haft einmal einen Brief, in dem ihm angeboten wurde, dass ihm ein Teil der Haft entlassen würde, wenn er verspräche das Stadtgebiet zu verlassen. Darüber soll er sehr erbost gewesen sein und sprach von Rache an einem Staatsanwaltschaftsrat Jansen.
Während des Jahres 1929 und der Mordserie schöpfte Wilhelm Hofer zuerst keinen Verdacht und traf sogar einmal Kürten im Frühjahr im Hofgarten. Die Frau Hofers fürchtete sich vor Kürten und dessen Blicken und deswegen gab es keine weiteren Kontakte. Erst die Nachricht, dass die Ermordete in Papendell aus dem Zoo-Viertel stammte, ließ ihn Kürten verdächtigen. Er meldete seinen Verdacht unter Angebe der Äußerungen Kürtens der Polizei.[1]
Der Hinweis Wilhelm Hofers blieb bei der Polizei nicht unbearbeitet. Das erstaunliche ist, dass es der einzige Hinweis unter den tausenden eingegangen war, der Peter Kürten verdächtigte. Man zog nach der Aussage des Zellengenossen Erkundigungen über jenen Peter Kürten ein, „wobei ihm von den verschiedensten Stellen ein geradezu glänzendes Zeugnis ausgestellt wurde“, so Ernst Gennat. Auch in der Nachbarschaft und auf der Arbeitsstelle ließen sich keine Hinweise auf eine Täterschaft feststellen. Einige Fotos des Verdächtigen wurden Gertrud Schulte vorgelegt, doch sie erkannte ihn nicht. Peter Kürten wurde als Verdächtiger ausgeschlossen.[2] In den nächsten Wochen geschahen dann aber keine Morde mehr…
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[1] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.73-76.
[2] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.205f..
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Ermittlungen (7): Der Tatort in Papendell

Nach dem Auftauchen der Mörderbriefe und vor allem nach der Verifizierung des Düsseldorfer Mörders als Absender, waren die Düsseldorfer Kriminalisten überzeugt, dass ein weiteres Opfer in der Gegend des Gutes Papendell vergraben wurde. Am 12.November fanden deshalb Nachgrabungen statt. Da die Landjäger im Oktober nicht fündig geworden waren, wurde die Suchaktion ausgeweitet und zahlreiche Erwerbslose wurde eingesetzt. Man fand aber erneut kein Grab, dafür wurde ein Landwirt ermittelt, der Mitte August auf dem nahen Feld einen roten Damenstrohhut, eine Handtasche und vier Schlüssel gefunden hatte. Der Hut war beim Pflügen zerstört worden, die beiden anderen Gegenstände wurden sichergestellt. Man fand heraus, dass die seit dem 11.August 1929 vermißte Maria Hahn vermutlich die Besitzerin der Fundstücke war.
Am 15.November 1929 setzte man die Suche mit einer nochmals erhöhten Zahl an Mitarbeitern fort und am Nachmittag war man schließlich erfolgreich. In 1,30 Metern Tiefe wurde die Leiche der Maria Hahn gefunden und anhand einiger Gegenstände und Schmuck zweifelsfrei identifi- ziert. Ernst Gennat urteilte in den  Kriminalistischen Monatsheften: „Die Leiche der H. war im Ackerboden so tief eingebettet, daß sie auch beim Pflügen oder sonstiger Bodenbearbeitung niemals gefunden worden wäre.“
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[1] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.18f..
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Ermittlungen (6) | Die Presse (3): Post vom Mörder

Unmittelbar nach dem Mordfall Dörrier empfing die Polizei in Düsseldorf einen Brief, der am 13.Oktober 1929 aufgegeben worden war. Der Brief, adressiert an die „Polizeiverwaltung hier“[1], enthielt eine Zeichnung eines Tals in der Nähe des Gutes Pappendell auf der ein Kreuz eingezeichnet war. Der Brief war auf unbedrucktem Zeitungspapier mit einem blauen Stift verfasst worden, die Schrift (in Antiqua) bestand aus Druckbuchstaben:
„Mord bei Pappendelle[sic], an der angekreuzten Stelle, welche nicht mit Unkraut bewachsen ist und mit einem Stein bezeichnet ist, liegt die Leiche begraben, 1 1/2 m tief. Düsseldorfer Stadtanzeiger und Landsmann (Gennat) haben Kenntnis.“[2]
Die Düsseldorfer Kriminalisten, die dem letzten Satz keinen Sinn entnehmen konnten, leiteten den Brief mit der Skizze eines bisher unbekannten Tatorts an die zuständige Landjägerei des Nachbarkreises Düsseldorf-Mettmann (der Landkreis Düsseldorf war am 1.August 1929 aufgelöst worden) weiter. Die Landjäger durchsuchten den Bereich beim Gut Papendell, blieben aber erfolglos und sandten den Brief zurück.[3]
Der Brief wanderte, ohne dass man die Presse informiert hatte, zu den Akten, bis einen zweiter auftauchte, der an die Redaktion der Düsseldorfer Zeitung „Die Freiheit“ gerichtet war. Er war am 8.November aufgegeben worden und erreichte die Polizei, als diese gerade die Leiche der Gertrud Albermann gefunden hatte. Das Besondere an dem Brief war, dass auf ihm der Fundort an der Mauer Haniel & Lueg als zweiter Hinweis vermerkt war. Als noch niemand von Presse und Polizei den Tatort kannte, war der Brief verfasst worden, was nahe legte, dass der Brief wirklich vom Mörder stammte.
Die Skizze aus dem zweiten Brief von Kürten, abgedruckt in den Düsseldorf Nachrichten. [4]
Ernst Gennat stellt fest, dass diese Zeichnung wesentlich übersichtlicher gehalten war, der Weg war hinzugekommen und die Beschriftung war sorgfältiger ausgeführt worden.[5] Der Brief, der wieder mit Blaustift geschrieben worden war, bewies, dass der Mörder der Albermann auch für andere Fälle verantwortlich war und dass er sich mit seinen Taten brüsten wollte. Die Kriminalpolizei ordnete für die folgenden Tage neue Untersuchungen im Bereich Papendelle an und versuchte auch, den Schreiber der Briefe zu fassen, in dem man die Spur des Zeitungspapiers verfolgte. Das Zeitungspapier war bereits einmal durch die Rotationsmaschine einer Druckerpresse gelaufen und wies typische Abdrücke auf. Doch auch in diesem Fall blieben alle Ermittlungen erfolglos, weder konnte die Druckmaschine ermittelt werden, noch ein Altpapierhändler und Beschäftigter einer Druckerei, der das Papier verkauft hatte.[6]
In der Folge erhielt die Polizei sehr viele „Mörderbriefe“, sie wurde geradezu mit Hinweisen, Selbstbezichtigungen und Ankündigungen überschwemmt. Das Kriminal-Magazin stellte fest:
„Allerdings muß man vermuten, daß diejenigen recht haben, die meinen, daß im November 1929 der aktuellste Sport gewisser Stammtische in Düsseldorf die Herstellung von ‚Mörderbriefen‘ sei.“[7]
 Kürten selbst gab an, dass er noch zwei weitere Briefe geschrieben habe. Den ersten, der ebenfalls eine Skizze von Papendell enthielt, warf er im Oktober in den Briefkasten am Pressehaus des Düsseldorfer Stadt-Anzeiger, er blieb jedoch verschwunden. Brief zwei und drei sind die beiden, von denen die Polizei Kenntnis erhielt, Brief vier sandte er irgendwann an die Niederrheinische Arbeits- zeitung in Duisburg. In ihm kündigte er an, dass weitere Leichen vergraben seien und das bürgerliche Zeitungen benachrichtigt seien, was aber gelogen war.[8]
Kürten antwortete auf die Frage, warum er die Briefe schrieb:
„In der Absicht, in der Bevölkerung, hauptsächlich von Düsseldorf, sowie bei der Polizei und dann nicht zuletzt bei den Stellen, die ich mir immer als meine Peiniger vorgestellt hab, Aufregung und Empörung hervorzurufen.“
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[1] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.16..
[2] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.15f..
[3] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.32.
[4] Wie sich das Netz um den Düsseldorfer Mörder zog, in: Düsseldorfer Nachrichten, 26.Mai 1930, Morgen-Ausgabe, Nr.265.
[5] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.17.
[6] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.32f.
[7] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.34.
[8] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.146f.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Die 20er Jahre (3): Kino

Direkt neben dem Hauptbahnhof in Düsseldorf steht eines der beiden großen Kinos der Stadt: Der UFA-Palast. Der Name, den das Kino trägt, erinnert an eine Zeit, in der dieser Begriff gleichzusetzen war mit „Hollywood“. Die UFA stand in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts für große europäische Kinofilme, so wie es Hollywood bis heute für amerikanisch tut. Hollywood und UFA, das war in den 20er Jahren „großes Kino.“
Bis zum Ersten Weltkrieg war das Kino als Medium in Deutschland allerdings sehr schlecht angesehen und galt als „proletarischer Kunstersatz“. Doch die bis dahin beispiellose Propagandaschlacht des Krieges schuf einen Meinungswechsel im Land. Im Dezember 1917 wurde die Universum-Film A.G. (UFA) gegründet, um mit den französische, italienischen, dänischen, englischen und US-amerikanischen Produktionen mithalten zu können. Mit einem Stammkapital von 25 Millionen Goldmark war mit einem Schlag eine sehr konkurrenzfähiges Filmunternehmen entstanden. Mit dem wachsenden wirtschaftlichen Erfolg wurde das Medium Film in Deutschland immer beliebter und wurde auch im seriösen Bürgertum immer akzeptierter.
Bereits einer der ersten Filme wurde für die UFA zum Welterfolg: „Madame Dubarry“[1] (1919) von Ernst Lubitsch erzählt die Geschichte der Mätresse und späteren Gräfin Dubarry, bis sie in der französischen Revolution auf der Guillotine endet. Zusammen mit dem expressionistischen Film „Das Cabinet des Dr. Caligari„[2] (1920) von Robert Wiene begründete der Film die „Deutsche Filmklassik“.
Die folgende Inflationszeit war für die Filmindustrie kaum störend, man modernisierte die Studios und hatte Freiraum für künstlerische Experimente. Die deutschen Filme waren gut und günstig und konnte so im Ausland gegen harte Währung gut abgesetzt werden.
In der zweiten Hälfte der 20er Jahre erreichte der Stummfilm seinen künstlerischen Höhepunkt und schafft es abendfüllende „Langfilme“ in den Lichtspielhäusern zu zeigen. Weltberühmt wird dabei vor allem ein gewisser Charly Chaplin, dessen Film „Goldrausch“[3] 1925 Premiere feierte. 1926 wurde Fritz Langs Epos „Metropolis“ [4] zum ersten Mal gezeigt. Neben den amerikanischen, deutschen und französischen Film kamen ab 1925 die sogenannten „Russenfilme“ in die Kinos der Welt. Eines der bekanntesten Werke ist der Revolutionsfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ [5] (1925) von Sergej M.Eisenstein.
Mit den 20er Jahren endete auch die Stummfilmära. Es war ein nicht unerheblicher Einschnitt für die Filmemacher, als sich zwischen 1927 und den frühen 30er Jahren der Tonfilm durchsetzte. Lichtspielhäuser und Produktions- studios mussten unter hohen Kosten umgerüstet werden, Schallschutz spielte auf einmal eine Rolle, die gleichzeitige Aufnahme von Ton und Bild stellte alle Beteiligte vor neue Herausforderungen, denen nicht jeder gewachsen war. Mancher Stummfilmstar hatte nicht die richtige Stimme für die neue Zeit und der Tonfilm erforderte auch eine neue Form des Schaupielens, sodass einige Karrieren endeten. Unglücklicherweise setzte mitten im Umstellungsprozeß auf den teureren Tonfilm die Weltwirtschaftskrise ein und erschöpfte die Mittel der Zuschauer. Die Filme dienten in dieser Zeit meist einem eskapistischen Ziel, „Sorgenbrecher“, Komödien, Romanzen und die neue „Tonfilmoperette“ sollten von Problemen der Zeit ablenken. In Deutschland war ein bis heute bekannter Film im Jahr 1930 am erfolgreichsten: „Die Drei von der Tankstelle“[6] von Wilhelm Thiele mit Willy Fritsch, Oskar Karlweis und Heinz Rühmann.[7]
Im darauf folgenden Jahr war ein anderer Film in aller Munde: Fritz Langs „M -Eine Stadt sucht einen Mörder.“
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[3] später als Tonfilm mit Erzähler neu aufgeführt: http://www.youtube.com/watch?v=ZI38Fb6vpuo (abgerufen 22.02.2011)
[7] Helmut Korte: Filmkultur der 1920er Jahre, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, S.199-215.
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Die Presse (2): Die Presse und die Kriminalpolizei

Ernst Gennat, Leiter der Berliner Mordinspektion, der ab Ende September 1929 die Düsseldorfer Kriminalpolizei unterstützte, schilderte 1930 in den „Kriminalistischen Monatsheften“ die Erkenntnisse zu den „Düsseldorfer Sexualverbrechen“ und auch seine Erfahrungen mit der Presse. Diese reichen von „[…] die Presse in ihren Auswüchsen – die Presse als wertvolle Helferin des Kriminalisten.“[1]
Die Mehrheit der Presse, so Gennat wurde erst mit den letzten Fällen im November 1929 auf die Düsseldorfer Mordserie aufmerksam. In dieser Phase waren 30 bis 40 Journalisten und Fotografen in Düsseldorf, unter anderem auch Vertreter der englischen, holländischen, dänischen, schwedischen, französischen, tschechoslowakischen, (u.a) Presse. Aus dem ferneren Ausland kamen „ununterbrochen“ telefonische Anfragen, die nach der nächsten Sensation, der nächsten Nachricht fragten und wissen wollten „ob schon wieder ein neuer Kindermord zu verzeichnen oder mit einem solchen zu rechnen sei.“[2]
Gennat bezeichnet es als Aufgabe der Kriminalpolizei, die Presse angemessen mit Material zu unterstützen, um eine sachliche Berichterstattung zu ermöglichen. Kriminalist und Journalist müssten die gegenseitigen Bedürfnisse verstehen und sich gegenseitig unterstützen, gerade in diesem Fall, wo die Kriminalpolizei auf die Unterstützung und Mitwirkung der Bevölkerung angewiesen sei, da die kriminalistischen Methoden erfolglos blieben. Die Presse war also sowohl Mitarbeiter als auch Gefahr für die Kriminalpolizei.[3]
In seinem Bericht in der gleichen Zeitschrift zum Prozeß gegen Peter Kürten griff Ernst Gennat das Thema Kriminalpolizei und Presse noch einmal auf und urteilt im Rückblick:
„Es ist ohne weiteres zuzugeben, daß die Veröffentlichungen in der Presse in erheblichem Umfange wertvolles Material zu Tage gefördert haben. Diese Feststellung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die kriminalistische Bearbeitung jener Sexualverbechen durch die Presse auch erheblich gestört und beeinträchtigt worden ist.“[4]
Vor allem, so Gennat, müsse künftig vermieden werden, dass aus solchen Fällen Sensationen gemacht werden, die anschließend die Bevölkerung verunsichern und eine Psychose auslösen, die die Kriminalpolizei noch mehr an der Arbeit behindert. Vor alle sollen keinerlei Tatbestände und schon gar nicht Details an die Presse gegeben werden, sie müssten unbedingt Geheimnisse der Ermittler werden, um unter anderem Geständnisse und Selbstbezichtigungen richtig analysieren zu können. Außerdem verhindere eine unsachliche, sensationsgierige Berichterstattung, dass mögliche Zeugen die Polizei aufsuchten, wenn die Gefahr bestünde, dass sie nachher in der Presse bloßgestellt würden.
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[1] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.58.
[2] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.58.
[3] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.58ff..
[4] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.211.
[5] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.211.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Ermittlungen (4): Fall Seiser

Im August 1929 glaubt die Düsseldorfer Kriminalpolizei dem Täter auf der Spur zu sein. Ein Verdächtiger namens Seiser hatte schon mehrere Sittlichkeitsverbrechen an Kindern unter 13 Jahren begangen und war angesichts der Fälle Ohliger, Hamacher und Lenzen in den Fokus der Ermittler geraten. Dieser Seiser hatte einen Schrebergarten am Flinger Broich, dort hatte er eine Schaukel aufgestellt und so Kinder angelockt. Mit dem Invaliden Scheer soll er befreundet gewesen sein. Im August wurde vor einem Düsseldorf Schöffengericht gegen ihn verhandelt und die Polizei schöpfte aufgrund seines merkwürdigen Verhaltens, als der Richter das Gespräch auf die Mordserie brachte, Verdacht. Die Wohnung und der Schrebergarten wurden durchsucht und mehrere Messer und eine leere, etwa 17cm lange Dolchscheide gefunden. Darüber hinaus wurde ein Kastenwagen gefunden. Ein solchen hatte ein Zeuge im Fall Ohliger in der Nähe des Tatorts gesehen. Doch auch diese Spur erwies sich als falsch, da die Mordserie nicht aufhörte, als Seiser in Haft war.[1]

 

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[1] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.27f..
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Ermittlungen (3): Fall gelöst?

Die Fahndung, die nach den Mordfällen Ohliger und Scheer einsetzte, war schließlich erfolgreich. Nach einigen Missgriffen nahm die Polizei einen Geisteskranken namens Stausberg fest. Dieser hatte am Abend des 2.April 1929 die 16jährige Erna Penning überfallen. Das Mädchen hatte glücklicherweise den Kragen hochgeschlagen, als sie hinter sich Schritte hörte. Dann wurde ihr eine Schlinge um den Hals geworfen und zugezogen. Gerade noch rechtzeitig bekam sie die Hand zwischen Hals und Strick und fiel dann in den Straßengraben. Stausberg begann sie zu würgen. Das Mädchen griff nach seiner Nase, hielt sie zu und konnte dann aufstehen. Daraufhin nahm Stausberg, der kein Wort gesagt hatte, die Schlinge weg und das Mädchen lief davon. Am nächsten Abend (3.April) wurde im Norden der Stadt eine Frau Flake von hinten angegriffen. Stausberg warf auch ihr die Schlinge über und zog sie dann hinter sich über ein Feld. Zwischendurch stopfte er ihr ein Taschentuch in den Mund. Stausberg wurde von Passanten entdeckt und floh, doch die Polizei konnte ihn ermitteln. Der 21jährige Mann wohnte mit seiner Familie in einem Obdachlosenasyl.
Die Vernehmung gestaltete sich schwierig, da er nur sehr undeutlich sprach, aber was er sagte war auffallend genau. Nachdem er die beiden Würgefälle im April gestanden hatte, fragten die Beamten ihn nach den Februarfällen. Stausberg gab die Morde zu und schilderte sie mit einer für einen Analphabeten sehr genauen und in vielen Punkten den Befunden entsprechenden Beschreibung des Tatgeschehens. Lediglich den Mord an Rosa Ohliger, so stellte Prof. Karl Berg fest, schilderte er ein wenig abweichend vom Befund, aber nicht so deutlich, das die Beamten misstrauisch wurden. Für sie ist der Fall endlich gelöst. Da Stausberg als Geisteskranker (Imbeziller) unter den damaligen §51 des Strafgesetzbuches fiel, wurde er in die Psychatrie eingewiesen.[1]
Das ein anderer sich selbst seiner Taten bezichtigt, scheint Kürten nicht gestört zu haben, zumal es ein Schwachsinniger (so die Bezeichnung damals) war. Im Gespräch mit Prof. Sioli sagte er:
„Und da habe ich so bei mir gedacht, ach, mag er sich bezichtigen, das nützt ihm nichts und schadet ihm auch nichts. Denn aus der Haft entlassen hätten sie Stausberg ja auch schon mit Rücksicht auf die Schlingengeschichte nicht mehr. Wohl habe ich mich schon mal mit dem Gedanken beschäftigt, was für Augen die maßgebenden Stellen, insbesondere die hochwohllöbliche Kriminalpolizei, machen würden, wenn ich nachher komme und sage: ‚Ich war das‘. Denn diese Absicht, dieses mal auszuführen, habe ich doch schon gehabt.“[2]
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[1] Karl Berg: Der Sadist, S.76ff. Siehe auch: Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.26. und Ernst Gennat: Der Prozeß, S.208.
[2] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.169.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Die Presse (1): Zeitungen im Jahr 1929

Die Presse spielt im Fall Kürten eine wichtige Rolle, wie nachfolgende Einträge zu diesem Thema noch zeigen werden. Grund genug, um sich einmal einen kurzen Überblick über die Presselandschaft um das Jahr 1929 zu verschaffen.
Mit Gründung der Weimarer Republik gab es zum ersten Mal in Deutschland eine (fast) uneingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit. Es gab keine offizielle Zensur. Allerdings gab es die Einschränkung, dass Meinungs- und Pressefreiheit nur innerhalb der allgemeinen Gesetze galt und das sie mit dem berühmten „Notverordnungsrecht“ (Art.46) außer Kraft gesetzt werden konnte. Das Zeitungswesen war in den 20er Jahren, vor allem in den Zeiten der Inflation großen Problemen ausgesetzt, dennoch war die Vielfalt an Zeitungen aus heutige Sicht sehr groß. Von Zeitungen mit Auflagen knapp über 1000 bis hin zu einem Berliner Lokal-Anzeiger mit 250.000 Exemplaren im Jahr 1929 waren die unterschiedlichsten Presserzeugnisse zu kaufen. Zwischen 114 und 147 verschiedene Zeitungen sollen in der vier-Millionen-Einwohner-Stadt Berlin um 1929 erschienen sein. So groß die Vielfalt auf dem Zeitungsmarkt auch war, so gering war sie im Bereich der Nachrichtenagenturen. Hier besaß Wolff’s Telegraphisches Büro (WTB) eine „offiziöse Monopolstellung“[1], das  auch durch Exklusivverträge mit ausländischen Nachrichten- agenturen vor Konkurrenz gut geschützt war.[2]
Die Vielfalt in Düsseldorf war begrenzter, wenngleich es schwierig zu bestimmen ist, wie viele lokale oder überregionale Zeitungen (wie die Vossische Zeitung aus Berlin) in Düsseldorf verkauft, abonniert und gelesen wurden, zumal die Zeitungen auch oft öffentlich angeschlagen wurden und  von jedem gelesen werden konnten. (So las Kürten die Meldung über seinen Mord an Rosa Ohliger.) Die drei größten Lokalzeitungen waren:
  • Das Düsseldorfer Tageblatt
  • Die Düsseldorfer Nachrichten
  • Die Freiheit

(Alle je in Düsseldorf erschienenen Zeitungen finden sich im Stadtarchiv Bestand 6)

In der Weimarer Republik weitete sich das Spektrum der politischen Positionen der Zeitungen aus. Im Grunde hatte jede Zeitung eine politische Richtung, von links-sozialistisch über bürgerlich-liberal, konservativ-national bis rechtsradikal. Allerdings wurde die eigene politische Anschauung unterschiedlich stark in den Zeitung verdeutlicht. Es ist oft schwierig Ausrichtung, Menge und Reichweite richtig einzuschätzen. So besaß die KPD zum Beispiel über 50 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von 280.000 – 500.000 Exemplare, je nach Rechnungsweise. „Die Freiheit“ in Düsseldorf war Teil des kommunistischen Zeitungsmarkt. Die bekannteste sozialistische Tageszeitung war die „Rote Fahne“, das KPD-Zentralorgan, das 1932 ein Auflage von rund 130.000 Exemplaren erfuhr.
Die SPD-nahen Zeitungen brachten es 1929 auf 75 Titel (mit 203 unterschiedlichen Ausgaben) mit einer Auflage von 1,3 Millionen. Dabei waren diese Zeitungen im Vergleich zu anderen rückständig. Sie verzichteten vollständig auf Anzeigen und betonte vor allem die Politik. Ressorts wie Sport, Wirtschaft oder auch „Buntes“ waren wenig vertreten.
Das Zentrum, die Partei des katholischen Deutschlands, hatte keine so engen Bindungen an den Zeitungsmarkt, da die Zeitungen, die Zentrums-nahe Positionen vertraten, in den Händen einzelner Besitzern oder Gesellschaften war. 1932 kamen das Zentrum und die Bayerische Volkspartei auf 434 Zeitungen, von denen 134 in Rheinland-Westfalen verlegt wurden. 13% der damaligen Gesamtauflage der deutschen Presse wurde von ihnen erstellt.
Zu den linksliberalen Zeitungen, die eher DDP und DVP nahe standen (1923 bekannten sich etwa 320 Zeitungen zum Linksliberalismus), gehörten vor allem die Zeitungen der großen Berliner Verlage wie Mosse und Ullstein (zu dem die Vossische Zeitung 1929 gehörte). Sie professionalisierten die „Strategien der Sensationalisierung“[3] mit gezieltem Wechsel zwischen Negativ-Schlagzeilen (Verbrechen, Katastrophen, Skandale) und positiven Meldungen aus Sport, Technik und Showbusiness.
Die konservative Presse war eng mit der DNVP, der größten Partei der Weimarer Republik, und vor allem mit Alfred Hugenberg verbunden. 1928 standen etwa 500 Zeitungen der politischen Ausrichtung der DNVP nahe.
Die NSDAP spielte im Zeitungsmarkt der Weimarer Republik erst ab den 30er Jahren eine bedeutende Rolle, 1929 besaß sie gerade einmal 10 Zeitungen mit einer Auflage von 72.000 Exemplaren.
Die 20er Jahre schufen auch neue Formen des Journalismus, so wurden der Foto-Journalist und der „rasende“ Reporter geschaffen. Die Reportage wurde immer beliebter und auch die Illustrierte als neue Form der Zeitschrift wurde erfunden.

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[1] Hans-Dieter Kübler: Wirtschaftskrisen und kulturelle Prosperität. Die Presse von 1920 bis 1930, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, S.99.
[2] Hans-Dieter Kübler: Wirtschaftskrisen und kulturelle Prosperität. Die Presse von 1920 bis 1930, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, S.97-100.
[3] Hans-Dieter Kübler: Wirtschaftskrisen und kulturelle Prosperität. Die Presse von 1920 bis 1930, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, S.107.
[4] Hans-Dieter Kübler: Wirtschaftskrisen und kulturelle Prosperität. Die Presse von 1920 bis 1930, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, S.100-115.

Kriminalistik (2): Die Gerichtsmedizin

Die Geschichte der Gerichtsmedizin ist fast so alt wie die der Kriminalistik, ihre Wurzeln reichen bis in die Antike zurück. Heute hat sie beinahe eine unheimliche Präsenz in allerlei Fernsehserien wie Quincy, Bones – die Knochenjägerin, Crossing Jordan und natürlich in zahlreichen Tatort-Folgen. 
1532 schuf die Constitutio Criminalis Carolina einen neuen einheitlichen Standard der damaligen modernen Gerichts- medizin für die folgenden Jahrhunderte. Im Laufe des 17.Jahrhunderts wurde Obduktionen üblich. Im 19.Jahr- hundert entwickelten sich gerichtsmedizinische Institute, in denen sich Mediziner auf die Arbeit in der Rechtsmedizin spezialisieren konnten. Seit dem späten 18.Jahrhundert beschäftigten sich Gerichtsmediziner nicht nur mit den Opfern, sondern zunehmend auch mit den Tätern. Die Zurechnungsfähigkeit rückte im Strafrecht mehr in den Fokus bei der Rechtsprechung und die Beurteilung fiel den Medizinern zu. In dieser Tradition stehen auch die Gespräche Kürtens mit Prof. Berg und Prof. Sioli.
Einer der ersten bedeutenden Fälle der Gerichtsmedizin war ein Fall aus Zeitz in der Nähe von Leipzig. Eine junge, unverheiratete Frau war schwanger geworden, hatte das Kind entbunden und dann behauptet, es sei eine Totgeburt gewesen. Die Nachbarn suchten nach der Leiche des Sauglings und fanden ihn im Garten. Kindstötungen waren in der damaligen Zeit nicht ungewöhnlich und eigentlich schien der Fall klar, hatte der Säugling doch eindeutige Verletzungen am Kopf. Der Stadtarzt, Johannes Schreyer, glaubte der jungen Frau, das eigentlich noch ein Mädchen war, jedoch und behauptete, die Verletzungen am Kopf stammten von der Suche nach dem Leichnam. Nun musste er beweisen, dass das Kind bei der Geburt tot war. Schreyer erfand die Lungenschwimmprobe. Die Lunge eines ungeborenen Säuglings ist kompakt und gefaltet und entfaltet sich erst mit dem ersten Atemzug. Sinkt die dem Leichnam entnommene Lunge im Wasser, hat der Säugling demnach nicht geatmet. So konnte er nachweisen, dass der Säugling bereits bei der Geburt tot gewesen war.
Nicht nur bei Kindsmorden ermittelten die Gerichts- mediziner. Auch bei Gewaltdelikten war es ihre Aufgabe die „tödliche Wunde“ zu bestimmen, auch wenn das bei dem damaligen Kenntnsistand der Mediziner nicht immer einfach war. Bei Sittlichkeitsdelikten, zumeist Vergewaltigungen untersuchten Gerichtsmediziner die Opfer, doch die vorherrschende Meinung der Gesellschaft meinte es bis ins 19.Jahrhundert nicht gut mit vergewaltigten Frauen, es sei denn sie waren zu dem Zeitpunkt noch Jungfrauen. 
Darüber hinaus gewann die gerichtliche Psychologie einen immer höhereln Stellenwert. Glaubte man im 17.Jahrhundert noch an Dämonen, schien Geisteskrankheit im 18.Jahrhundert eine Folge körperlicher Unzulänglichkeiten zu sein. Im 19.Jahrhundert verfolgte man Theorien der Degeneration und Nervenschwäche. 
Ein weiterer Arbeitsbereich der Rechtsmedizin war und ist die Identitätsermittlung. Heute wird dies über den Zahnstatus, besondere körperliche Merkmale und DNS- Analysen geleistet. Seit dem 19.Jahrhundert beschäftigte sich die Gerichtsmedizin mit der Identitätsermittlung. Zur Alterbestimmung verwendete man die Untersuchung der Zähne, genauer der Zahnzementringe. Ein weiteres probates Mittel war die „Moulage“. Der Anatom Wilhelm His sollte 1894 die Gebeine eines älteren Mannes identifzieren, die man bei Umbauarbeiten der Johanneskirche in Leipzig gefunden hatte und über deren Identität es nur mündliche Überlieferungen gab. His hatte vorher die Weichteildicke bei Europäer untersucht und hatte eine weitgehende Konstanz entdeckt. Er beauftragte einen Bildhauer einen Schädelabdruck entsprechend seinen Erkenntnissen mit Weichteilen zu modellieren. Es entstand eine Büste, die zeitgenössischen Porträts eines bekannten Komponisten so sehr glich, dass eine Prüfungskommission unzweifelhaft die Identität feststellen konnte: Es war Johann Sebastian Bach. 
In den 1930er Jahren fertigte der Erkennungsdienst der Wiener Polizei nach diesem (inzwischen verbesserten Vorbild) jährlich 120 Abgüsse von Gesichtern und Körperteilen.
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[1] Peter Becker: Dem Täter auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminalistik, Darmstadt 2005 S.42-62.