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Die Angstpsychose: Eine Stadt in Furcht vor dem Serienmörder

Spricht man einen alteingessenen Düsseldorfer heute auf den Vampir von Düsseldorf an, so ist der Name jedem ein Begriff. Auch wenn die wenigsten, die heute noch leben, die Zeit als Erwachsene erlebt haben, so ist auch bei denen, die damals Kindern waren, die bedrückende Atmosphäre des halben Jahrs der Serienmorde zwischen August und November, die Furcht vor einem scheinbar übermächtigen Mörder, immer noch präsent. Auch bei deren Kindern ist der Name Peter Kürten eng mit der Vorstellung einer Stadt im Angstzustand verbunden. Was lässt sich in den zeitgenössischen Quellen über die Angstzustände heraus finden?
Das Kriminal-Magazin leitete seine Sondernummer über den Fall mit folgenden Worten ein:
„Düsseldorf fiebert! Das Rheinland zittert in Spannung! Sagen wir ruhig: Ganz Deutschland stürzt in diesen Tagen von einer Sensation in die andere. Ein Massenmörder treibt seit Anfang des Jahres in Düsseldorf sein Unwesen. Wie ein Raubtier bricht er plötzlich aus seinem Versteck hervor, sticht mit einem langen Messer Kidner nieder und überfällt Frauen, die er mit einem seltsamen, hammerartigen Mordwerkezug niederschlägt.[…]“[1]

Im Folgenden schildert das Kriminal-Magazin dann die Wirkung auf die Bevölkerung:

„Auf die leisesten Verdächtigungen hin enstehen Menschenansammlungen. In einem solchen Falle wurde ein harmloser Mann, der seine kleine Nichte auf der Straße spielen sah und sie fürsorglich mit sich nahm, damit sie von der Straße wegkäme, bei der Polizei der Kindesentführung verdächtigt und festgenommen. Nur das Überfallkommando konnte den Harmlosen vor „Richter Lynch“ bewahren. Ein ungerheurer Alpdruck lastet seit Monaten über der schönen, sinnenfrohen Garten- und Kunststadt am Niederrhein. Keiner traut mehr dem anderen. Freundschaften gehen auseinander, weil Verdachts- momente auftauchen.[2]

 Spielende Kinder sehe man in Düsseldorfs Straßen kaum noch, führt das Magazin weiter aus. Wenn es dunkel werde, sei jeder doppelt auf der Hut. Selbst ein Meisterclown, der ein Gastspiel im Apollotheater gab, könne nichts gegen die drückende Depression ausrichten, überall in der Stadt hingen Plakate mit Versprechungen von großen Belohnungen („15.000 Mark“ titelt das Kriminal-Magazin), doch die Menschen glaubten nicht mehr an einen Erfolg der systematische Suche der Polizei, die an den Grenzen ihrer Kräfte sei.[3]
Ernst Gennats Blick richtet sich auf die Rolle der Polizei während der Angstpsychose. Er spricht von einem „Kriegs- zustand“ in der Stadt, der allerdings nicht so schlimm sei, wie in den Sensationsmeldungen der Presse zu lesen war. Als Besipiel führt er Meldungen über das Tragen von stählernen Halskrausen oder von Stahlhelmen mit Rosen- verzierung an. Die Meldungen an die Polizei überschlugen sich:
„Während des Stadiums der „Ueberfall-Psychose“ verging fast kein Abend, an dem nicht Mitglieder der Mordkommission mit dem Ueberfall-Kommando ausrücken mußten, um neu gemeldete „Ueberfälle“ zu prüfen…“[4]
Viele Meldungen solte eigene Verfehlungen verdecken. So meldete ein 15jähriger Junge, dass er vom Rad gezerrt und in den Arm gestochen wurde. Nach wenigen Minuten gestand er, dass er einfach mit dem Rad in der Dunkelheit gestürzt war. Sein Vater hatte ihm verboten damit im Dunkeln zu fahren. Schließlich ging Polizei dazu über alle Fälle, die Geständnisse, Name und Anschrift der Personen in der Zeitung zu veröffentlichen und diese Phase ging vorüber.[5]
Es häuften sich in der Zeit ebenfalls die Vermißten- meldungen und behinderten die Arbeit der Polizei. Ernst Gennat erklärte, dass die Polizei dafür zwar Verständnis habe, aber sehr oft alle anderen Möglichkeiten beim Fernbleiben eines Kinders oder eine jungen Frau zu rasch ausgeschlossen wurden und die Polizei zu früh informiert wurde. Er nennt diesen Zustand „Vermißten-Psychose“. Ihr folgte als Reaktion auf die Mörderbriefe eine Brief-Psychose, in der zahlreiche falsche Hinweise und Bekenner-Schreiben die Polizei überfluteten.[6]
In der Rückschau kann ergänzt werden, dass zu allem Überfluß die Polizei auch noch  zweifelhafte „Unterstützung“ erhielt. Es gab Männer, die sich in Frauenkleidern als Opfer anboten, um den Täter auf frischer Tat zu ertappen. Hellseher, Heilmagnetiseure, Telepathen, Magnetopathen, Pendelforscher, Astrologen, Traumdeuter, Medien und Graphologen wollten mit ihren Fähigkeiten den Serienmörder zur Strecke bringen. „Eine sonst geleugnete, untergründige Welt des Aberglaubens kam 1929/1930 zum Vorschein und rief vielfachen Widerhall in der Öffentlichkeit hervor.“, urteilt Peter Hüttenberger.[7]
Auch nach der Aufklärung der Taten Kürtens und seiner Verhaftung blieb er als Gespenst erhalten. Eltern drohten ihren Kinder mit „Peter Kürten“, er war und blieb in Düsseldorf der Inbegriff des Bösen.[8]
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[1] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.13.
[2] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.13f..
[3] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.14.
[4] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.54.
[5] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.55f.
[6] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.56.
[7] Peter Hüttenberger: Düsseldorf. Geschichte von den Anfängen bis ins 20.Jahrhundert. Band 3: Die Industrie- und Verwaltungsstadt (20.Jahrhundert), Düsseldorf, 2.Aufl. 1990, S.408f..
[8] Peter Hüttenberger: Düsseldorf. Geschichte von den Anfängen bis ins 20.Jahrhundert. Band 3: Die Industrie- und Verwaltungsstadt (20.Jahrhundert), Düsseldorf, 2.Aufl. 1990, S.411.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Ermittlungen (6) | Die Presse (3): Post vom Mörder

Unmittelbar nach dem Mordfall Dörrier empfing die Polizei in Düsseldorf einen Brief, der am 13.Oktober 1929 aufgegeben worden war. Der Brief, adressiert an die „Polizeiverwaltung hier“[1], enthielt eine Zeichnung eines Tals in der Nähe des Gutes Pappendell auf der ein Kreuz eingezeichnet war. Der Brief war auf unbedrucktem Zeitungspapier mit einem blauen Stift verfasst worden, die Schrift (in Antiqua) bestand aus Druckbuchstaben:
„Mord bei Pappendelle[sic], an der angekreuzten Stelle, welche nicht mit Unkraut bewachsen ist und mit einem Stein bezeichnet ist, liegt die Leiche begraben, 1 1/2 m tief. Düsseldorfer Stadtanzeiger und Landsmann (Gennat) haben Kenntnis.“[2]
Die Düsseldorfer Kriminalisten, die dem letzten Satz keinen Sinn entnehmen konnten, leiteten den Brief mit der Skizze eines bisher unbekannten Tatorts an die zuständige Landjägerei des Nachbarkreises Düsseldorf-Mettmann (der Landkreis Düsseldorf war am 1.August 1929 aufgelöst worden) weiter. Die Landjäger durchsuchten den Bereich beim Gut Papendell, blieben aber erfolglos und sandten den Brief zurück.[3]
Der Brief wanderte, ohne dass man die Presse informiert hatte, zu den Akten, bis einen zweiter auftauchte, der an die Redaktion der Düsseldorfer Zeitung „Die Freiheit“ gerichtet war. Er war am 8.November aufgegeben worden und erreichte die Polizei, als diese gerade die Leiche der Gertrud Albermann gefunden hatte. Das Besondere an dem Brief war, dass auf ihm der Fundort an der Mauer Haniel & Lueg als zweiter Hinweis vermerkt war. Als noch niemand von Presse und Polizei den Tatort kannte, war der Brief verfasst worden, was nahe legte, dass der Brief wirklich vom Mörder stammte.
Die Skizze aus dem zweiten Brief von Kürten, abgedruckt in den Düsseldorf Nachrichten. [4]
Ernst Gennat stellt fest, dass diese Zeichnung wesentlich übersichtlicher gehalten war, der Weg war hinzugekommen und die Beschriftung war sorgfältiger ausgeführt worden.[5] Der Brief, der wieder mit Blaustift geschrieben worden war, bewies, dass der Mörder der Albermann auch für andere Fälle verantwortlich war und dass er sich mit seinen Taten brüsten wollte. Die Kriminalpolizei ordnete für die folgenden Tage neue Untersuchungen im Bereich Papendelle an und versuchte auch, den Schreiber der Briefe zu fassen, in dem man die Spur des Zeitungspapiers verfolgte. Das Zeitungspapier war bereits einmal durch die Rotationsmaschine einer Druckerpresse gelaufen und wies typische Abdrücke auf. Doch auch in diesem Fall blieben alle Ermittlungen erfolglos, weder konnte die Druckmaschine ermittelt werden, noch ein Altpapierhändler und Beschäftigter einer Druckerei, der das Papier verkauft hatte.[6]
In der Folge erhielt die Polizei sehr viele „Mörderbriefe“, sie wurde geradezu mit Hinweisen, Selbstbezichtigungen und Ankündigungen überschwemmt. Das Kriminal-Magazin stellte fest:
„Allerdings muß man vermuten, daß diejenigen recht haben, die meinen, daß im November 1929 der aktuellste Sport gewisser Stammtische in Düsseldorf die Herstellung von ‚Mörderbriefen‘ sei.“[7]
 Kürten selbst gab an, dass er noch zwei weitere Briefe geschrieben habe. Den ersten, der ebenfalls eine Skizze von Papendell enthielt, warf er im Oktober in den Briefkasten am Pressehaus des Düsseldorfer Stadt-Anzeiger, er blieb jedoch verschwunden. Brief zwei und drei sind die beiden, von denen die Polizei Kenntnis erhielt, Brief vier sandte er irgendwann an die Niederrheinische Arbeits- zeitung in Duisburg. In ihm kündigte er an, dass weitere Leichen vergraben seien und das bürgerliche Zeitungen benachrichtigt seien, was aber gelogen war.[8]
Kürten antwortete auf die Frage, warum er die Briefe schrieb:
„In der Absicht, in der Bevölkerung, hauptsächlich von Düsseldorf, sowie bei der Polizei und dann nicht zuletzt bei den Stellen, die ich mir immer als meine Peiniger vorgestellt hab, Aufregung und Empörung hervorzurufen.“
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[1] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.16..
[2] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.15f..
[3] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.32.
[4] Wie sich das Netz um den Düsseldorfer Mörder zog, in: Düsseldorfer Nachrichten, 26.Mai 1930, Morgen-Ausgabe, Nr.265.
[5] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.17.
[6] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.32f.
[7] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.34.
[8] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.146f.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Die Presse (2): Die Presse und die Kriminalpolizei

Ernst Gennat, Leiter der Berliner Mordinspektion, der ab Ende September 1929 die Düsseldorfer Kriminalpolizei unterstützte, schilderte 1930 in den „Kriminalistischen Monatsheften“ die Erkenntnisse zu den „Düsseldorfer Sexualverbrechen“ und auch seine Erfahrungen mit der Presse. Diese reichen von „[…] die Presse in ihren Auswüchsen – die Presse als wertvolle Helferin des Kriminalisten.“[1]
Die Mehrheit der Presse, so Gennat wurde erst mit den letzten Fällen im November 1929 auf die Düsseldorfer Mordserie aufmerksam. In dieser Phase waren 30 bis 40 Journalisten und Fotografen in Düsseldorf, unter anderem auch Vertreter der englischen, holländischen, dänischen, schwedischen, französischen, tschechoslowakischen, (u.a) Presse. Aus dem ferneren Ausland kamen „ununterbrochen“ telefonische Anfragen, die nach der nächsten Sensation, der nächsten Nachricht fragten und wissen wollten „ob schon wieder ein neuer Kindermord zu verzeichnen oder mit einem solchen zu rechnen sei.“[2]
Gennat bezeichnet es als Aufgabe der Kriminalpolizei, die Presse angemessen mit Material zu unterstützen, um eine sachliche Berichterstattung zu ermöglichen. Kriminalist und Journalist müssten die gegenseitigen Bedürfnisse verstehen und sich gegenseitig unterstützen, gerade in diesem Fall, wo die Kriminalpolizei auf die Unterstützung und Mitwirkung der Bevölkerung angewiesen sei, da die kriminalistischen Methoden erfolglos blieben. Die Presse war also sowohl Mitarbeiter als auch Gefahr für die Kriminalpolizei.[3]
In seinem Bericht in der gleichen Zeitschrift zum Prozeß gegen Peter Kürten griff Ernst Gennat das Thema Kriminalpolizei und Presse noch einmal auf und urteilt im Rückblick:
„Es ist ohne weiteres zuzugeben, daß die Veröffentlichungen in der Presse in erheblichem Umfange wertvolles Material zu Tage gefördert haben. Diese Feststellung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die kriminalistische Bearbeitung jener Sexualverbechen durch die Presse auch erheblich gestört und beeinträchtigt worden ist.“[4]
Vor allem, so Gennat, müsse künftig vermieden werden, dass aus solchen Fällen Sensationen gemacht werden, die anschließend die Bevölkerung verunsichern und eine Psychose auslösen, die die Kriminalpolizei noch mehr an der Arbeit behindert. Vor alle sollen keinerlei Tatbestände und schon gar nicht Details an die Presse gegeben werden, sie müssten unbedingt Geheimnisse der Ermittler werden, um unter anderem Geständnisse und Selbstbezichtigungen richtig analysieren zu können. Außerdem verhindere eine unsachliche, sensationsgierige Berichterstattung, dass mögliche Zeugen die Polizei aufsuchten, wenn die Gefahr bestünde, dass sie nachher in der Presse bloßgestellt würden.
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[1] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.58.
[2] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.58.
[3] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.58ff..
[4] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.211.
[5] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.211.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Die Presse (1): Zeitungen im Jahr 1929

Die Presse spielt im Fall Kürten eine wichtige Rolle, wie nachfolgende Einträge zu diesem Thema noch zeigen werden. Grund genug, um sich einmal einen kurzen Überblick über die Presselandschaft um das Jahr 1929 zu verschaffen.
Mit Gründung der Weimarer Republik gab es zum ersten Mal in Deutschland eine (fast) uneingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit. Es gab keine offizielle Zensur. Allerdings gab es die Einschränkung, dass Meinungs- und Pressefreiheit nur innerhalb der allgemeinen Gesetze galt und das sie mit dem berühmten „Notverordnungsrecht“ (Art.46) außer Kraft gesetzt werden konnte. Das Zeitungswesen war in den 20er Jahren, vor allem in den Zeiten der Inflation großen Problemen ausgesetzt, dennoch war die Vielfalt an Zeitungen aus heutige Sicht sehr groß. Von Zeitungen mit Auflagen knapp über 1000 bis hin zu einem Berliner Lokal-Anzeiger mit 250.000 Exemplaren im Jahr 1929 waren die unterschiedlichsten Presserzeugnisse zu kaufen. Zwischen 114 und 147 verschiedene Zeitungen sollen in der vier-Millionen-Einwohner-Stadt Berlin um 1929 erschienen sein. So groß die Vielfalt auf dem Zeitungsmarkt auch war, so gering war sie im Bereich der Nachrichtenagenturen. Hier besaß Wolff’s Telegraphisches Büro (WTB) eine „offiziöse Monopolstellung“[1], das  auch durch Exklusivverträge mit ausländischen Nachrichten- agenturen vor Konkurrenz gut geschützt war.[2]
Die Vielfalt in Düsseldorf war begrenzter, wenngleich es schwierig zu bestimmen ist, wie viele lokale oder überregionale Zeitungen (wie die Vossische Zeitung aus Berlin) in Düsseldorf verkauft, abonniert und gelesen wurden, zumal die Zeitungen auch oft öffentlich angeschlagen wurden und  von jedem gelesen werden konnten. (So las Kürten die Meldung über seinen Mord an Rosa Ohliger.) Die drei größten Lokalzeitungen waren:
  • Das Düsseldorfer Tageblatt
  • Die Düsseldorfer Nachrichten
  • Die Freiheit

(Alle je in Düsseldorf erschienenen Zeitungen finden sich im Stadtarchiv Bestand 6)

In der Weimarer Republik weitete sich das Spektrum der politischen Positionen der Zeitungen aus. Im Grunde hatte jede Zeitung eine politische Richtung, von links-sozialistisch über bürgerlich-liberal, konservativ-national bis rechtsradikal. Allerdings wurde die eigene politische Anschauung unterschiedlich stark in den Zeitung verdeutlicht. Es ist oft schwierig Ausrichtung, Menge und Reichweite richtig einzuschätzen. So besaß die KPD zum Beispiel über 50 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von 280.000 – 500.000 Exemplare, je nach Rechnungsweise. „Die Freiheit“ in Düsseldorf war Teil des kommunistischen Zeitungsmarkt. Die bekannteste sozialistische Tageszeitung war die „Rote Fahne“, das KPD-Zentralorgan, das 1932 ein Auflage von rund 130.000 Exemplaren erfuhr.
Die SPD-nahen Zeitungen brachten es 1929 auf 75 Titel (mit 203 unterschiedlichen Ausgaben) mit einer Auflage von 1,3 Millionen. Dabei waren diese Zeitungen im Vergleich zu anderen rückständig. Sie verzichteten vollständig auf Anzeigen und betonte vor allem die Politik. Ressorts wie Sport, Wirtschaft oder auch „Buntes“ waren wenig vertreten.
Das Zentrum, die Partei des katholischen Deutschlands, hatte keine so engen Bindungen an den Zeitungsmarkt, da die Zeitungen, die Zentrums-nahe Positionen vertraten, in den Händen einzelner Besitzern oder Gesellschaften war. 1932 kamen das Zentrum und die Bayerische Volkspartei auf 434 Zeitungen, von denen 134 in Rheinland-Westfalen verlegt wurden. 13% der damaligen Gesamtauflage der deutschen Presse wurde von ihnen erstellt.
Zu den linksliberalen Zeitungen, die eher DDP und DVP nahe standen (1923 bekannten sich etwa 320 Zeitungen zum Linksliberalismus), gehörten vor allem die Zeitungen der großen Berliner Verlage wie Mosse und Ullstein (zu dem die Vossische Zeitung 1929 gehörte). Sie professionalisierten die „Strategien der Sensationalisierung“[3] mit gezieltem Wechsel zwischen Negativ-Schlagzeilen (Verbrechen, Katastrophen, Skandale) und positiven Meldungen aus Sport, Technik und Showbusiness.
Die konservative Presse war eng mit der DNVP, der größten Partei der Weimarer Republik, und vor allem mit Alfred Hugenberg verbunden. 1928 standen etwa 500 Zeitungen der politischen Ausrichtung der DNVP nahe.
Die NSDAP spielte im Zeitungsmarkt der Weimarer Republik erst ab den 30er Jahren eine bedeutende Rolle, 1929 besaß sie gerade einmal 10 Zeitungen mit einer Auflage von 72.000 Exemplaren.
Die 20er Jahre schufen auch neue Formen des Journalismus, so wurden der Foto-Journalist und der „rasende“ Reporter geschaffen. Die Reportage wurde immer beliebter und auch die Illustrierte als neue Form der Zeitschrift wurde erfunden.

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[1] Hans-Dieter Kübler: Wirtschaftskrisen und kulturelle Prosperität. Die Presse von 1920 bis 1930, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, S.99.
[2] Hans-Dieter Kübler: Wirtschaftskrisen und kulturelle Prosperität. Die Presse von 1920 bis 1930, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, S.97-100.
[3] Hans-Dieter Kübler: Wirtschaftskrisen und kulturelle Prosperität. Die Presse von 1920 bis 1930, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, S.107.
[4] Hans-Dieter Kübler: Wirtschaftskrisen und kulturelle Prosperität. Die Presse von 1920 bis 1930, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, S.100-115.