Die Presse spielt im Fall Kürten eine wichtige Rolle, wie nachfolgende Einträge zu diesem Thema noch zeigen werden. Grund genug, um sich einmal einen kurzen Überblick über die Presselandschaft um das Jahr 1929 zu verschaffen.
Mit Gründung der Weimarer Republik gab es zum ersten Mal in Deutschland eine (fast) uneingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit. Es gab keine offizielle Zensur. Allerdings gab es die Einschränkung, dass Meinungs- und Pressefreiheit nur innerhalb der allgemeinen Gesetze galt und das sie mit dem berühmten „Notverordnungsrecht“ (Art.46) außer Kraft gesetzt werden konnte. Das Zeitungswesen war in den 20er Jahren, vor allem in den Zeiten der Inflation großen Problemen ausgesetzt, dennoch war die Vielfalt an Zeitungen aus heutige Sicht sehr groß. Von Zeitungen mit Auflagen knapp über 1000 bis hin zu einem Berliner Lokal-Anzeiger mit 250.000 Exemplaren im Jahr 1929 waren die unterschiedlichsten Presserzeugnisse zu kaufen. Zwischen 114 und 147 verschiedene Zeitungen sollen in der vier-Millionen-Einwohner-Stadt Berlin um 1929 erschienen sein. So groß die Vielfalt auf dem Zeitungsmarkt auch war, so gering war sie im Bereich der Nachrichtenagenturen. Hier besaß Wolff’s Telegraphisches Büro (WTB) eine „offiziöse Monopolstellung“[1], das auch durch Exklusivverträge mit ausländischen Nachrichten- agenturen vor Konkurrenz gut geschützt war.[2]
Die Vielfalt in Düsseldorf war begrenzter, wenngleich es schwierig zu bestimmen ist, wie viele lokale oder überregionale Zeitungen (wie die Vossische Zeitung aus Berlin) in Düsseldorf verkauft, abonniert und gelesen wurden, zumal die Zeitungen auch oft öffentlich angeschlagen wurden und von jedem gelesen werden konnten. (So las Kürten die Meldung über seinen Mord an
Rosa Ohliger.) Die drei größten Lokalzeitungen waren:
- Das Düsseldorfer Tageblatt
- Die Düsseldorfer Nachrichten
- Die Freiheit
(Alle je in Düsseldorf erschienenen Zeitungen finden sich im Stadtarchiv Bestand 6)
In der Weimarer Republik weitete sich das Spektrum der politischen Positionen der Zeitungen aus. Im Grunde hatte jede Zeitung eine politische Richtung, von links-sozialistisch über bürgerlich-liberal, konservativ-national bis rechtsradikal. Allerdings wurde die eigene politische Anschauung unterschiedlich stark in den Zeitung verdeutlicht. Es ist oft schwierig Ausrichtung, Menge und Reichweite richtig einzuschätzen. So besaß die KPD zum Beispiel über 50 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von 280.000 – 500.000 Exemplare, je nach Rechnungsweise. „Die Freiheit“ in Düsseldorf war Teil des kommunistischen Zeitungsmarkt. Die bekannteste sozialistische Tageszeitung war die „Rote Fahne“, das KPD-Zentralorgan, das 1932 ein Auflage von rund 130.000 Exemplaren erfuhr.
Die SPD-nahen Zeitungen brachten es 1929 auf 75 Titel (mit 203 unterschiedlichen Ausgaben) mit einer Auflage von 1,3 Millionen. Dabei waren diese Zeitungen im Vergleich zu anderen rückständig. Sie verzichteten vollständig auf Anzeigen und betonte vor allem die Politik. Ressorts wie Sport, Wirtschaft oder auch „Buntes“ waren wenig vertreten.
Das Zentrum, die Partei des katholischen Deutschlands, hatte keine so engen Bindungen an den Zeitungsmarkt, da die Zeitungen, die Zentrums-nahe Positionen vertraten, in den Händen einzelner Besitzern oder Gesellschaften war. 1932 kamen das Zentrum und die Bayerische Volkspartei auf 434 Zeitungen, von denen 134 in Rheinland-Westfalen verlegt wurden. 13% der damaligen Gesamtauflage der deutschen Presse wurde von ihnen erstellt.
Zu den linksliberalen Zeitungen, die eher DDP und DVP nahe standen (1923 bekannten sich etwa 320 Zeitungen zum Linksliberalismus), gehörten vor allem die Zeitungen der großen Berliner Verlage wie Mosse und Ullstein (zu dem die Vossische Zeitung 1929 gehörte). Sie professionalisierten die „Strategien der Sensationalisierung“[3] mit gezieltem Wechsel zwischen Negativ-Schlagzeilen (Verbrechen, Katastrophen, Skandale) und positiven Meldungen aus Sport, Technik und Showbusiness.
Die konservative Presse war eng mit der DNVP, der größten Partei der Weimarer Republik, und vor allem mit Alfred Hugenberg verbunden. 1928 standen etwa 500 Zeitungen der politischen Ausrichtung der DNVP nahe.
Die NSDAP spielte im Zeitungsmarkt der Weimarer Republik erst ab den 30er Jahren eine bedeutende Rolle, 1929 besaß sie gerade einmal 10 Zeitungen mit einer Auflage von 72.000 Exemplaren.
Die 20er Jahre schufen auch neue Formen des Journalismus, so wurden der Foto-Journalist und der „rasende“ Reporter geschaffen. Die Reportage wurde immer beliebter und auch die Illustrierte als neue Form der Zeitschrift wurde erfunden.
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[1] Hans-Dieter Kübler: Wirtschaftskrisen und kulturelle Prosperität. Die Presse von 1920 bis 1930, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, S.99.
[2] Hans-Dieter Kübler: Wirtschaftskrisen und kulturelle Prosperität. Die Presse von 1920 bis 1930, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, S.97-100.
[3] Hans-Dieter Kübler: Wirtschaftskrisen und kulturelle Prosperität. Die Presse von 1920 bis 1930, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, S.107.
[4] Hans-Dieter Kübler: Wirtschaftskrisen und kulturelle Prosperität. Die Presse von 1920 bis 1930, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre, München 2008, S.100-115.