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Peter Kürtens Rezeption im Film (1): M – Eine Stadt sucht einen Mörder

Am 11.Mai 1931, drei Wochen nach dem Urteilsspruch gegen Peter Kürten, feierte in Berlin der Film „M – Einer Stadt sucht einen Mörder“ von Fritz Lang Premiere. Es ist einer der ersten Tonfilme Deutschlands. Das Drehbuch wurde vor Peter Kürtens Verhaftung im Mai 1930 fertiggestellt.
In dem Film versetzt ein Kindermörder Berlin in Angst und Schrecken, die Kriminalpolizei und schließlich sogar die Ringvereine (kriminelle Vereinigungen) jagen den Mörder. In einer Fabrik macht die Unterwelt dem Mörder Hans Beckert schließlich den Prozeß, bis die Polizei eintrifft und ihn vor eine ordentliches Gericht stellt.
Der Fall Peter Kürten ist neben dem anderer Serienmörder am stärksten in die Handlung eingeflossen. Der Film kam in Spanien unter dem Namen „M – El vampiro de Düsseldorf“ und in Italien unter dem Titel „M – Il mostro di Düsseldorf“ in die Lichtspielhäuser. [1]
Bei youtube.de findet sich der komplette Film: [2]
Basierend auf dem Film entstand das 2009 in Deutschland erschienene Graphic Novel „M“ (Leseprobe auf der Homepage des Verlags [3]) von Jon.J.Muth.
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[1] Seite „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 14. März 2011, 18:09 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=M_%E2%80%93_Eine_Stadt_sucht_einen_M%C3%B6rder&oldid=86438600 (Abgerufen am 17. 03.2011)
[2] http://www.youtube.com/watch?v=_O_ldOK3dDE (Abgerufen am 17.03.2011)

Vor Gericht (3): Das Urteil

„Im Namen des Volkes hat das Schwurgericht in Düsseldorf für Recht erkannt:
Der Angeklagte ist des Mordes in 9 (neun) Fällen, in 2 Fällen begangen in Tateinheit mit vollendeter Notzucht, in einem Falle begangen in Tateinheit mit gewaltsamer Vornahme unzüchtiger Handlungen, schuldig. Er wird für jeden Fall des Mordes mit dem Tode bestraft.
Der Angeklagte wurde ferner wegen Mordversuches in 7 (sieben) Fälle zu einer Gesamtzuchthausstrafe von 15 (fünfzehn) Jahren verurteilt.
Die bürgerlichen Ehrenrechte werden dem Angeklagten auf Lebenszeit aberkannt, auch wird Polizeiaufsicht für zulässig erklärt.
Die beschlagnahmten 2 Scheren, der Hammer und die Dolchspitze werden eingezogen.
Die Kosten des Verfahrens fallen dem Angeklagten zur Last.“[1]

Direkt im Anschluss an die Urteilsbegründung erklärten Verteidigung und Anklage den Verzicht auf die Einlegung von Rechtsmittel, sodass das Urteil am Tag der Ver- kündigung rechtskräftig wurde.[2]

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[1] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.258f. Siehe auch: Ernst Gennat: Der Prozeß, S.203.
[2] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.204.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Vor Gericht (2): Die Plädoyers

An dieser Stelle sollen die Plädoyers der Staats- anwaltschaft, des Verteidigers Dr.Wehner und Kürtens Schlußrede vorgestellt werden. Vom Plädoyer des Staatsanwalts liegen in den mir zur Verfügung stehenden Quellen nur die Schlußworte vor, die daher hier zitiert werden sollen:
„Das Gesamtbild, das der Prozeß von den Verbrechen und der Täterpersönlichkeit gegeben hat, hat eine solche abgrundtiefe Verkommenheit, eine solche Gefährlichkeit des Täters und eine solche Menge Opfer gezeigt, daß wir nur hoffen können, daß sich ein solcher Fall niemals wiederholen möge. Wenn jemals ein Lustmörder die Todesstrafe verdient hat, so ist es Peter Kürten.“[1]
Die Verteidigungsrede Dr.Alex Wehners ist 1937 abgedruckt worden und steht deshalb in voller Länge zur Verfügung. Er begann sie mit einer Beschreibung der Ungeheuerlichkeit der Verbrechen Kürtens, die in der Kriminalgeschichte bisher unerreicht sei. Als besonders stellte er im Vergleich zu anderen Serienmördern der Weimarer Republik heraus, dass Kürten Frauen, Männer, junge Mädchen, Kinder und Tiere getötet hat. Anschließend beschrieb Wehner, dass er von vielen Seiten und der Öffentlichkeit gefragt wurde, wie man denn Kürten noch verteidigen könne, ja, warum er überhaupt einen Verteidiger gestellt bekomme. Wehner stellte daraufhin klar, dass es nicht die Aufgabe der Verteidigung sei, das eigene Ich aufzugeben, sondern er sei als Teil der Rechtspflege daran interessiert die Wahrheit zu suchen und zu finden. Er mahnte dann die Geschworenen als Teil seiner Aufgabe als Verteidiger, die „rein gefühlsmäßige Abscheu“ zugunsten der objektiven Einstellung gegen über dem Angeklagten und dessen Taten zurückzustellen.
Wehner erklärte dann, dass mit der Verhaftung Kürtens am 24.Mai 1930 noch nicht feststand, dass man den Düsseldorfer Serienmörder gefunden habe. Anhand der spärlichen Indizen (z.B. die Mörderbriefe) und der Aussage Auguste Kürtens, hätte man ihm wohl nur den Fall Budlies und den Fall Schulte nachweisen können. Allein das Geständnis Kürtens habe vollständige Klarheit geschaffen und damit die Möglichkeit eine umfassende Anklage vor Gericht zu bringen. Wehner betonte, dass er selbst der Meinung sei, dass Kürten der Täter wäre und dieser habe ihn auch beauftragt noch einmal klar zu stellen, dass er der langgesuchte Mörder sei.
Der Verteidiger fuhr dann fort, in dem er darlegte, dass die zahlreichen Gutachter Kürten nicht für geisteskrank im Sinn des §51 und damit strafrechtlich verantwortbar für seine Taten erklärten. Doch Wehner fragt an die Geschworenen gerichtet, ob die Taten Kürtens an sich nicht schon bewiesen, dass mindestens eine Grenzfall im Sinne des §51 vorliege.

„Dies wird insbesondere dann klar, wenn wir uns selbst überlegen, daß wir doch alle psychisch einfach nicht in der Lage wären, solche Taten zu begehen, während bei Kürten nicht nur keine Hemmungen vorhanden waren, sondern ein äußerst starker Trieb, diese Taten zu begehen und einer Art zu häufen, daß wir vor einem psychologischen Rätsel stehen.“[2]

Er führte weiter aus, dass die Gutachter Kürten erst später – nach den Taten – kennen lernten und untersuchten. Im Anschluß daran kam Wehner auf den Werdegang Kürtens zurück, der auch schon von der Anklage gewürdigt worden sei, um dann darauf aufbauend wieder auf den Paragrafen 51 zurückzukommen.
Sollten die Angeklagten die Voraussetzungen für § 51 nicht bejahen, so erklärte Wehner, müssten sie weiterhin prüfen, ob im Sinne des „§211 StrGB“ der Vorsatz der Tötung vorgelegen habe und ob die Tat mit Überlegung ausgeführt worden sei. Wehner selbst beantwortet die erste Frage eindeutig: Der Vorsatz der Tötung habe in allen Fällen mit Ausnahme der Lierenfelder Messerstechereien vorgelegen. Zur zweiten Frag erklärte er, dass jede ohne eine Überlegung ausgeführte Handlung als Totschlag und nicht als Mord zu werten sei. Wehner geht anschließend ausführlich auf die rechtlichen Grundlagen des Konstrukts der „Überlegung“ ein, dessen Wiedergabe an dieser Stelle aber zu weit führen würde. Wehner bezweifelte jedoch die Mordabsicht und sprach im Hinblick auf die Überlegung, also die Frage ob ein Mord oder ein Totschlag vorlag, die einzelnen Fälle durch. Auf eine detaillierte Vorstellung der Argumente soll an dieser Stelle ebenfalls verzichtet werden: In den Fällen Klein, Scheer, Reuter, Dörrier, Kühn, Schulte, Meurer, und Wanders verneinte Wehner eine Mordabsicht Kürtens. In den Fällen der Kinder Ohliger und Albermann kam er eindeutig zu der Feststellung, dass eine Überlegung stattgefunden habe, bei den Fleher Kindermorden zweifelte er und verwies deswegen die Geschworenen auf den juristischen Grundsatz in dubio pro reo, sie müssten also Totschlag annehmen. Im Fall Maria Hahn verzichtete Wehner aufgrund des „schaurigen Tatbestands“ auf eine „rechtliche Würdigung“. Besonders die Tatsache, dass Peter Kürten ín vielen Fällen auf eine Tötung verzichtete, zeigte für Wehner, dass er nicht mit einer Mordabsicht losgegangen sei und dass die sexuelle Erregung dafür verantwortlich sei, ob ein Totschlag folgte – oder nicht.
Wehner schloss seine Verteidigungsrede mit dem Hinweis, dass sich die Gefängnistore hinter dem Angeklagten für immer schließen würden. Er habe sich schwer an der Menschheit vergangen und er werde das Urteil der Geschworenen als gerechte Sühne für seine furchtbaren Taten annehmen. Ausdrücklich bat er dann die Geschworenen den Angeklagten nicht der menschlichen Verachtung anheim fallen zu lassen.
„Wird so nicht auch der Angeklagte das Recht haben, seinerseits Anklage zu erheben gegen sein Schicksal und zu sagen:
Warum bin ich geboren als der Sohn eines Trinkers, eines Sexualverbrechers?
Warum bin ich nicht geboren im lichten Raum?
Warum bin ich ohne Erziehung wie Unkraut am Wege aufgewachsen?
Warum habe ich diese scheußliche Veranlagung, die geschlechtliche Perversion, mit zur Welt gebracht?
Warum bin ich nicht geboren als ein Mensch, wie sie hier um mich versammelt sind?, für die es einfach eine Unmöglichkeit wäre, solche Taten zu begehen, ohne daß es ihr eigenes Verdienst ist?“[3]
Wehner ermahnte noch einmal die Geschworenen nach Recht und Gesetz zu entscheiden und aus Kürten keine Bestie zu machen und ihn aus der menschlichen Gesellschaft auszuschließen. Mit seinen letzten Worten zur Verteidigung Kürtens zitierte er die Worte, die Annette von Droste Hülshoff ihrer Novelle „Die Judenbuche“ voran gestellt hat.[4] (Leseprobe „Die Judenbuche“ auf lyrikwelt.de, die kursiv gesetzten Worte sind gemeint.)[5]
Peter Kürten versuchte in seiner Schlußrede nicht seine Taten „in irgendeiner Form zu entschuldigen“. Allerdings wies er daraufhin, dass einige Ärzte mehr als anderthalbtausend Morde begangen hätten und bezog sich damit auf eine Abtreibungsaffäre zweier kommunistischer Ärzte in Stuttgart. Dann wandte er sich an Prof.Sioli und hielt ihm vor, dass er sein Elternhaus als nicht mitbestimmend für seiner Entwicklung ansah. (Sioli sagte in seinem Gutachten, das Erbanlage das eine sei, die Verantwortung für den Umgang damit müsse jeder selbst tragen). Er wies den Vorwurf des Oberstaatsanwalts zurück, dass er sein Geständnis aus Feigheit zurückgezogen habe, er habe dies nur wegen seiner Frau getan. Dann wandte er sich an die Presse und lobte deren maßvolle Bericht- erstattung, die er aufmerksam verfolgt habe, da er sich selbst in seiner Jugend an der Sensationspresse berauscht habe. Die Öffentlichkeit würde so nicht vergiftet werden. Daraufhin rief ihm ein Presseverteter ein ironisches „Wir danken!“ zu. Dann ging er auf einige Opfer ein, die es ihm zu leicht gemacht hätten, da sie mit ihm in den Wald gegangen seien. „Der Drang nach dem Manne nimmt ja immer ungewöhnlichere Formen an.“, kommentierte er dies, was ihm einen Ordnungsruf des Vorsitzenden einbrachte. An- schließend bat er die Angehörigen der Opfer, so weit es ihnen möglich sei, ihm zu verzeihen und stellte klar, dass er die Opfer nie gequält habe. [6] Seine Rede endete mit den Worten:
„Und wenn Sie dieses alles in Betracht ziehen und meinen guten Willem, alle Taten zu sühnen und Buße zu tun, erkennen, dann glaube ich doch, daß das große Rache- und Haßgefühl gegen mich nicht nachhalten wird, und ich möchte Sie bitten: Seien Sie versöhnt!“[7]
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[1] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.255.
[2] Alex Wehner: Verteidigungsrede für den Düsseldorfer Massenmörder Kürten, S.220.
[3] Alex Wehner: Verteidigungsrede für den Düsseldorfer Massenmörder Kürten, S.235.
[4] Alex Wehner: Verteidigungsrede für den Düsseldorfer Massenmörder Kürten, S.213-235.
[5] Die Judenbuche (Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen) Leseprobe: http://www.lyrikwelt.de/gedichte/droste-huelshoffg6.htm (abgerufen am 16.03.2011)
[6] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.256ff..
[7] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.258.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Vor Gericht (1): Der Fall Peter Kürten

Am 26.Januar 1931 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Peter Kürten, es kamen allerdings nicht alle Fälle und Straftaten zur Anklage, sondern nur die wichtigsten: (nach Ernst Gennat:)
„I.des Mordes in 9 Fällen und zwar

1. 25.5.13 in Köln-Mülheim – Christine Klein
2. 8.2.29 in Düsseldorf-Flingern – Rosa Ohliger
3. 12./13.2.29 in Düsseldorf-Flingern – Rudolf Scheer
4. 11.8.29 in Papendell – Maria Hahn
5. 24.8.29 in Düsseldorf-Flehe – Luise Lenzen und
6. Luise [richtig: Gertrud, Anm.JNK] Hamacher
7. 29.9.29 in Düsseldorf-Oberkassel – Ida Reuter
8. 11.10.29 in Düsseldorf-Gerresheim – Elisabeth Dörrier
9. 7.11.29 in Düsseldorf-Grafenberg – Gertrud Albermann

 II. des versuchten Mordes wird K. in 7 Fällen angeklagt, und zwar

1. 3.2.29 in Düsseldorf-Gerresheim – Apollonia Kühn
2. 21.8.29 in Düsseldorf-Lierenfeld – Anna Goldhausen
3. am gleichen Tag daselbst Olga Mantel
4. am gleichen Tag daselbst Heirnich Kornblum
5. 25.8.29 in Düsseldorf-Niederkassel – Gertrud Schulte
6. 25.10.29 in Düsseldorf-Flingern – Hubertine Meuer
7. am gleichen Tage in Düsseldorf (Hofgarten) – Klara Wanders

III. in allen Fällen – mit Ausnahme der Fälle Scheer (I,3) und Kornblum (II,4) – wird K. außerdem angeklagt, mit Gewalt unzüchtige Handlungen an Frauenspersonen vorgenommen zu haben.
IV. in den Fällen Reuter, Dörrier und Albermann (I 7, 8 und 9) wird K. weiter angeklagt, durch dieselben Handlungen Frauenspersonen zum außerehelichen Beischlaf mißbraucht zu haben, nachdem er sie zu diesem Zwecke in einen bewußtlosen Zustand versetzt hatte;
V. im Falle Schulte wird K. außerdem noch wegen versuchter Notzucht angeklagt.“[1]

Der Prozeß fand schließlich vom 13. bis zum 24. April 1931 statt. Aufgrund der außergewöhnlichen Umstände und dem übergroßen Interesse ließ man eine Turnhalle der Schutzpolizei in der Tannenstraße als Gerichtssaal herrichten.  Wie Ernst Gennat gleich zu Beginn seines knappen Berichts feststellt gab es keine Überraschungen. Peter Kürten, der sicher juristische und medizinische Fachausdrücke verwendete, gab seine Taten zu. Neu hinzukam für Gennat die Angabe, dass Kürten schon als 9jähriger einen Knaben in den Rhein gestoßen haben will, der daraufhin ertrunken sei. Kürten führte seinen Werdegang auf seine Jugendzeit und den Vater sowie einem benachbarten Hundeschlächter zurück, übertrieb dabei aber und wurde vom Vorsitzenden ermahnt. Seine Ansichten zum Strafvollzug, den er im polizeilichen Verhör als Grund für seine Taten angab, revidierte er. [2]
„Der ganzen Veranlagung des K. entsprechend stellte die Hauptverhandlung sicherlich einen Höhepunkt seines bisherigen Lebens dar: wenn er z.B. das Wort ausdrücklich an die Presse richtete und zur Abfassung sachlicher Berichte mahnte unter Hinweis auf die Schädigungen, die gerade er er durch schlechter Lektüre erlitten habe.“[3]

 

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[1] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.200f..
[2] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.201f.
[3] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.203.
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Kriminalistik (4): Die Fehler der Polizei

„Konnte man die Täterschaft des Kürten früher feststellen und auf welchem Wege?“

Diese Frage steht über dem letzten Artikel aus Ernst Gennats Serie über den Düsseldorfer Serienmörder. Dazu stellt der Kriminalist fest, dass Peter Kürten trotz seiner vielen Vorstrafen bis zum Beginn der Ermittlungen nie wegen Sittlichkeitsdelikten verurteilt worden war, wenngleich er 1913 und 1926 zweimal wegen Notzucht angeklagt worden war. Auch sein Umfeld, seine Frau oder Beteiligte des Strafvollzugs (abgesehen von Wilhelm Hofer) haben nie Anzeichen bemerkt, die Kürten verdächtig machten. Auf frischer Tat wurde er nie ertappt, ja es wurde auch nie Anzeige von den betroffenen Frauen erstattet.
Als Fehler der Polizei sind zwei falsche Festnahmen und sogar Verurteilungen zu werten. Das betraf im Frühjahr 1929 den Geisteskranken Stausberg, dessen Unschuld durch die Verurteilung Kürtens beweisen wurde. Man muss an dieser Stelle sicher kritisieren, dass die Polizei zu leichtgläubig war und sich durch ein falsches Geständnis täuschen ließ. Auch im Fall Klein im Jahr 1913 wurde der Onkel des Kindes fälschlicherweise verurteilt. Der Onkel haßte den Vater des Mädchens (seinen Bruder) und einige Zeugen meinten ihn am Tatabend in der Nähe gesehen zu haben. [1] Ernst Gennat stellte fest:

„Ein Rückblick aus der jetzigen Situation zeigt in außerordentlich lehrreicher Weise, wie leicht durch Verkettung irgendwelcher Umstände auch ein Unschuldiger in Verdacht geraten kann.“[2]

Der Gerichtsmediziner Karl Berg erinnert noch einmal an die scharfe Kritik an der Polizeiarbeit, die aus seiner Sicht zu Unrecht geäußert wurde. Berg erklärt, wieso die Ermittlungen so schwierig waren: Serienmörder zeichnen sich, so die damalige Lehrmeinung, durch die stets gleiche Ausführung ihrer Taten aus. Doch im Fall Kürten gibt es keine übergreifenden eindeutigen Gemeinsamkeiten:

„Das sexuelle Motiv lag bei fünf Morden in dem spezifischen Genitalbefund klar zutage, bei anderen, bei dem ermordeten Scheer oder dem gestochenen Kornblum oder der Frau Meurer war es nicht erweislich. Verschieden war auch die Art des Angriffs mit einleitendem Würgen bei Ohliger, Hamacher, Lenzen, Albermann; aber bei den überlebenden Opfern fehlte wiederum  das Würgen. Sodann die große Zahl der Stiche bei der einen Reihe der Opfer, ihr Fehlen bei anderen und die Hammerschläge sprachen auch gegen den gleichen Täter.“[3]

Ein weiterer Irrtum, den Berg im Nachhinein feststellt, war die Erwartung, dass angesichts der „Scheußlichkeit der Morde“ nur ein Geisteskranker als Täter in Frage komme.[4]
Weitere Fehler der Polizei ergeben sich aus den Erklärungen Kürtens in der Haft. So war er im Gespräch mit einem Kriminalbeamten, als dieser auf dem Weg zum Tatort im Fall Scheer war und dieser ging seinem Mißtrauen nicht nach, als er merkte, dass Kürten sehr detailliert informiert war. Auch die wiederholte Rückkehr an den Tatort wie im Fall Ohliger wäre eine Möglichkeit für die Polizei gewesen den Täter zu stellen.
Weniger ein Fehler der Polizei an sich ist die Tatsache, dass die vergewaltigten Frauen ihn Peter Kürten nie bei der Polizei anzeigten. Sie hatten wohl kein Vertrauen in die Arbeit der Polizei bzw. fürchteten sie sich oder schämten sich ihr Schicksal bei der Polizei preiszugeben und damit in die Öffentlichkeit zu treten. Aber man muss klar konstatieren, dass dieses Problem bis heute besteht.

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[1] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.205f..
[2] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.208.
[3] Karl Berg: Der Sadist, S.102.
[4] Karl Berg: Der Sadist, S.103.
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Kriminalistik (3): Die Fotografie

Die aufkommende Fotografie wurde in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts immer öfter auch in der Kriminalistik angewandt. Dabei gab es zwei Aufgabenbereiche: der Erkennungsdienst und die Spurensicherung am Tatort, die beide im Fall Kürten zum Einsatz kamen.
Seit den 1860er Jahren begann man in allen größeren Städten Deutschlands Verbrecheralben anzulegen, die erstmals eine indirekte Gegenüberstellung zwischen Opfern und Tätern ermöglichte und die Identifizierung und Fahndung erleichterte. In Danzig legte man in den 1860er Jahren ein Verzeichnis von Taschendieben an, in Berlin begann man 1876 mit Bauernfängern. Die Berliner Verbrecherkartei beinhaltete 1909 23.533 Fotografien, in Hamburg schaffte die fotografische Anstalt der Polizei von 1889 bis 1912 900.000 Fotografien, darunter 2000 Handschriften-Bilder und 1300 Tatort-Fotos.
Mit der steigenden Zahl an Fotografien benötigte man auch eine Ordnung. Die erste sortierte die Verbrecher anhand ihrer „Branche“, sodass zum Beispiel alle Anarchisten in einer Schublade landeten. Der bekannte Dresdner Kriminalist Robert Heindl, der auch die Methode der Fingerabdrücke revolutionierte, führte um die Jahr- hundertwende die Ordnung nach Größe, Alter und Verbrechenskategorie (in dieser Reihenfolge) ein, da er ermittelt hatte, dass Zeugen Größe und Alte am Besten einschätzen konnten. In Frankreich gab der Spezialist des Erkennungsdienstes, Alphonse Bertillon, den Polizisten ein Verbrecheralbum im Taschenformat mit auf Streife, das 2000 Doppelfotografien enthielt und nach Nasenform, Ohrenform, Körpergröße, Alter und Augenfarbe sortiert war. Alphonse Bertillon hatte bereits 1888 die Nutzung der Fotografie im Erkennungsdienst standardisiert. Der Fokus der Aufnahmen sollte bei allen Aufnahmen identisch sein. Zu diesem Zweck brachte er zwei Linien auf der Mattscheibe an, die es dem Fotografen erleichtern sollten, stets die gleiche Position von äußerem Augenwinkel und Ohrmitte bei Profilaufnahmen zu erreichen. Außerdem ließ er eine Apparatur anfertigen, die Kamera und Sitzgelegenheit des Verbrechers beinhaltete. Der Stuhl war dabei höhenverstellbar und so geformt, dass ein bequemes Sitzen nur in einer Position möglich war.
Doch trotz aller Bemühungen erwies sich das Verbrecheralbum als zu unpraktisch und wurde bald von der Daktyloskopie verdrängt.
Seit dem frühen 20.Jahrhundert wurde die Tatort-Fotografie umfassend in der Spurensicherung angewendet. Bis dahin hatte sich die Polizei mit Zeichnungen und Skizzen behelfen müssen und war auf die Kunstfertigkeit des Zeichners angewiesen, der den Tatort nach eigenem Anschauen darstellen musste. Die Fotografie eliminierte, so hoffte man, den menschlichen Faktor in diesem Arbeitsbereich der Spurensicherung. Das größte Problem dabei war, einen dreidimensionalen Tatort in eine zweidimensionale Fotografie umzuwandeln. Eine Skala, die mitfotografiert wurde, schaffte hier Abhilfe. Allerdings gelang es nicht, die Tatort-Fotografie zu standardisieren, z.B. im Hinblick auf Brennweite und Aufnahmewinkel, da die örtlichen Umstände es nicht zuließen. [1]
Dennoch lautet das Urteil des Historiker Peter Becker:
„Die Fotografie revolutionierte die Spuren- sicherung, die Auswertung der Spuren und die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Instanzen des Ermittlungs- und Strafverfahrens. Sie ermöglichte die Zirkulation von Beweismitteln ebenso wie von Portraits gesuchter bzw. zu identifizierender Verbrecher.“[2]

Lichtbild (9): Der Serienmörder von Düsseldorf. Lichtbilder von Peter Kürten

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[1] Peter Becker: Dem Täter auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminalistik, Darmstadt 2005 S.65-88.
[2] Peter Becker: Dem Täter auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminalistik, Darmstadt 2005 S.88.

Ermittlungen (12): Zugriff am Rochus-Platz.

Nachdem sich das Ehepaar Kürten am 23.Mai 1930 gegen 23 Uhr getrennt hatte, verfolgte Auguste ihren Mann unauffällig zu seinem Zimmer in der Adlerstraße. Am nächsten Morgen brach sie ihr ihm gegebenes Versprechen und verriet ihn bei einer Vernehmung durch die Polizei.[1] Die Reaktionen der Ermittler, die den Düsseldorfer Serienmörder so lange vergeblich gejagt hatten, ist nicht überliefert. Man weiß auch nicht, was sie dachten, als sie merkten, dass sie Peter Kürtens Spur, die sie gerade aufgenommen hatten, schon wieder fast verloren hatten. Nach der Anzeige Auguste Kürtens machten sich vier Kriminalbeamter unter Führung von Kommissar Reibel mit Auguste Kürte im Auto auf den Weg zur Adlerstraße, wo das Haus und das Zimmer Kürtens ermittelt wurden. Dieser war gerade außer Haus um sich zu baden. Zwei Beamte verblieben dort, zwei weitere warteten im gegenüberliegenden Haus mit Frau Kürten. Kürten ließ sich dort jedoch nicht mehr blicken und so wechselte man rechtzeitig vor 15 Uhr zum Rochus-Platz. Der Platz war weiträumig mit Kriminalbeamten abgesichert und Auguste Kürten wartete an der Kirche auf ihren Mann. Der erschien gegen 15.15 Uhr und wurde „blitzschnell“ überwältig. Er trug nur ein Taschenmesser bei sich und wurde per „Kraftdroschke“ ins Polizei- präsidium an der Mühlenstraße verbracht. Es fand sofort eine Gegenüberstellung mit Gertrud Schulte statt, die ihn ohne Zögern als Täter identifizierte. Kürten gestand daraufhin umfassend und gab in der ersten Vernehmung als Motiv an, sich an der Menschheit wegen der unmenschlichen Zustände in den Gefängnissen rächen zu wollen.[2]
Über die unmittelbaren Geständnisse sagte Kürten später:
„[…] überhaupt diese polizeilichen Protokolle, die enthalten auch manches, was nicht so in allen Punkten meine persönliche Wiedergabe gewesen wäre. Wissen Sie, das ging nachher schon so’n bißchen [sic] nach Schema F, und man hat das schon so gewissermaßen ins Humoristische hineingezogen, wenn ich das immer wiederholte, und der Beamte, der da an der Schreibmaschine saß, der konnte sehr schnell schreiben, ein Kriminalbeamter, der sagte in den meisten Fällen zu mir: ‚Na, Pitter, wie taufen wir das Kind? Nächste Nummer!‘ […]
Denn ich habe so den Eindruck bekommen von denen, als ob die auf dem Standpunkt standen, man muß das Eisen schmieden, so lange es noch warm ist. Das müssen Sie nicht alles so wörtlich nehmen […]. Ich habe mir da was drauf eingebildet, daß da so viel Wesens gemacht wurde. […] Ich habe gehört, wie die Rede davon war, die Unterredung stattfand mit französischen Zeitungsberichterstattern: ‚Schicken Sie gleich Bild mit Flugzeug, großes Honorar.‘ Und alles hat mich da auf dem Polizeipräsidium angestaunt, gewissermaßen als Wundertier.“[3]
Nach etwa 14 Tagen waren die kriminalpolizeilichen Vernehmungen abgeschlossen. Es folgte eine siebenmonatige Voruntersuchung, in der Kürten auch von Ärzten wie Prof.Sioli oder Prof.Berg begutachtet wurde. Sechs Wochenlang wurde er auch in der Irrenanstalt Bedburg-Hau beobachtet.[4]
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[1] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.46f.

[2] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.43f.
[3] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.144.
[4] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.199.

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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Ermittlungen (11): Komissar Zufall hilft

Es ist verwunderlich, wie oft die Frauen, die Peter Kürten würgte, teilweise zum Geschlechtsverkehr nötigte oder verletzte, sich danach nicht an die Polizei wandten, was weder für die Moral der Frauen als auch für den Ruf der Polizei spricht. Alle im Jahr 1930 geschehenen Taten waren der Polizei nicht bekannt. Schließlich war es „Kommissar Zufall“, dessen Ermittlungen die Kriminalisten in Düsseldorf (die Berliner Kollegen waren längst in die Hauptstadt zurückgekehrt) weiter brachten. Nachdem am 14.Mai  1930 Maria Budlies zum Opfer Peter Kürtens geworden war, schrieb sie an ihre neue Bekannte, „Frau Brückner“ in der Bilker Allee, und äußerte in dem Brief den Verdacht, dass sie einem Mörder in die Hände gefallen sein könnte. Der Brief wurde jedoch nicht an die ominöse Frau Brückner zugestellt, sondern an eine Frau Brügmann, die in der genannten Straße wohnte. Diese öffnete den fehlerhaft adressierten Brief und wandte sich dann an die Polizei.[1]
Die Kriminalisten ermittelten Maria Budlies und mit ihrer Hilfe gelang es am 21.Mai die Wohnung der Kürtens in der Mettmanner Straße 71 zu identifizieren. Klugerweise hatte Maria Budlies gegenüber Kürten verneint, dass sie seine Wohnung wieder finden könne, weswegen er sie laufen gelassen hatte.[2] Die Beamten erschienen mit Maria Budlies an der Adresse und wurde dabei von Peter Kürten beobachtet. Am Nachmittag, so stellt es Kürten dar, kam Budlies noch einmal allein und ging in eine der Nachbarwohnungen, wobei sie ihn sah und erschrak. Kürten zog die richtigen Schlüsse und suchte am Abend seine Frau im Café Hemesath auf und informierte sie, dass er gesucht werde, weil ein „Beischlafversuch“ als Notzucht ausgelegt werden könnte. Aufgrund seiner Vorstrafen müsse er verschwinden. Kürten mietete sich daraufhin ein Zimmer in einem Haus in der Adlerstraße 53 [3]. [4]
Am nächsten Morgen wurde Auguste Kürten kurz nach ihrem Dienstantritt im Café Hemesath von Kriminalbeamten aufgesucht und man bat sie, die Wohnungsschlüssel zu übergeben oder sie zur Wohnung zu begleiten. Auguste Kürten sagte aus, dass sie ziemlich erschrocken über das Erscheinen der Beamten gewesen sei und schließlich erst auf Raten der Hausdame des Cafés mit den Beamten mitgegangen sei. Die Beamten führten eine ergebnislose Hausdurchsuchung durch und informierten Auguste Kürten, dass ihr Mann wegen der Vergewaltigung von Maria Budlies gesucht werde. Nach der Durchsuchung gingen die Beamten und hinterließen bei Auguste Kürten die Vorladung für ihren Mann, mit der Aufforderung sich bei der Kriminalpolizei zu melden.[5] Nachdem die Beamten die Wohnungen verlassen hatten, erschien Kürten, der die Kriminalbeamten beim Verlassen der Wohnung beobachtetet hatte.[6] Kürten leugnete seiner Frau gegenüber erst etwas getan zu haben, dann sagte er laut ihrer Aussage: „Ja, ja ich habe es getan, ich habe alles getan.“[7] Nach diesen Worten verließ er die Wohnung. Als seine Frau zurück zu ihrer Arbeitsstelle ging, traf sie ihn in der Nähe noch einmal und er bat um ein Treffen um 11:30 Uhr in der Seufzer-Allee im Hofgarten.[8]
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[1] Karl Berg: Der Sadist, S.105.
[2] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.196.
[3] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.43.
[4] Karl Berg: Der Sadist, S.105.
[5] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.96.
[6] Karl Berg: Der Sadist, S.106.
[7] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.97. Siehe auch: Karl Berg, Der Sadist, S.107.
[8] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.97.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Die Angstpsychose: Eine Stadt in Furcht vor dem Serienmörder

Spricht man einen alteingessenen Düsseldorfer heute auf den Vampir von Düsseldorf an, so ist der Name jedem ein Begriff. Auch wenn die wenigsten, die heute noch leben, die Zeit als Erwachsene erlebt haben, so ist auch bei denen, die damals Kindern waren, die bedrückende Atmosphäre des halben Jahrs der Serienmorde zwischen August und November, die Furcht vor einem scheinbar übermächtigen Mörder, immer noch präsent. Auch bei deren Kindern ist der Name Peter Kürten eng mit der Vorstellung einer Stadt im Angstzustand verbunden. Was lässt sich in den zeitgenössischen Quellen über die Angstzustände heraus finden?
Das Kriminal-Magazin leitete seine Sondernummer über den Fall mit folgenden Worten ein:
„Düsseldorf fiebert! Das Rheinland zittert in Spannung! Sagen wir ruhig: Ganz Deutschland stürzt in diesen Tagen von einer Sensation in die andere. Ein Massenmörder treibt seit Anfang des Jahres in Düsseldorf sein Unwesen. Wie ein Raubtier bricht er plötzlich aus seinem Versteck hervor, sticht mit einem langen Messer Kidner nieder und überfällt Frauen, die er mit einem seltsamen, hammerartigen Mordwerkezug niederschlägt.[…]“[1]

Im Folgenden schildert das Kriminal-Magazin dann die Wirkung auf die Bevölkerung:

„Auf die leisesten Verdächtigungen hin enstehen Menschenansammlungen. In einem solchen Falle wurde ein harmloser Mann, der seine kleine Nichte auf der Straße spielen sah und sie fürsorglich mit sich nahm, damit sie von der Straße wegkäme, bei der Polizei der Kindesentführung verdächtigt und festgenommen. Nur das Überfallkommando konnte den Harmlosen vor „Richter Lynch“ bewahren. Ein ungerheurer Alpdruck lastet seit Monaten über der schönen, sinnenfrohen Garten- und Kunststadt am Niederrhein. Keiner traut mehr dem anderen. Freundschaften gehen auseinander, weil Verdachts- momente auftauchen.[2]

 Spielende Kinder sehe man in Düsseldorfs Straßen kaum noch, führt das Magazin weiter aus. Wenn es dunkel werde, sei jeder doppelt auf der Hut. Selbst ein Meisterclown, der ein Gastspiel im Apollotheater gab, könne nichts gegen die drückende Depression ausrichten, überall in der Stadt hingen Plakate mit Versprechungen von großen Belohnungen („15.000 Mark“ titelt das Kriminal-Magazin), doch die Menschen glaubten nicht mehr an einen Erfolg der systematische Suche der Polizei, die an den Grenzen ihrer Kräfte sei.[3]
Ernst Gennats Blick richtet sich auf die Rolle der Polizei während der Angstpsychose. Er spricht von einem „Kriegs- zustand“ in der Stadt, der allerdings nicht so schlimm sei, wie in den Sensationsmeldungen der Presse zu lesen war. Als Besipiel führt er Meldungen über das Tragen von stählernen Halskrausen oder von Stahlhelmen mit Rosen- verzierung an. Die Meldungen an die Polizei überschlugen sich:
„Während des Stadiums der „Ueberfall-Psychose“ verging fast kein Abend, an dem nicht Mitglieder der Mordkommission mit dem Ueberfall-Kommando ausrücken mußten, um neu gemeldete „Ueberfälle“ zu prüfen…“[4]
Viele Meldungen solte eigene Verfehlungen verdecken. So meldete ein 15jähriger Junge, dass er vom Rad gezerrt und in den Arm gestochen wurde. Nach wenigen Minuten gestand er, dass er einfach mit dem Rad in der Dunkelheit gestürzt war. Sein Vater hatte ihm verboten damit im Dunkeln zu fahren. Schließlich ging Polizei dazu über alle Fälle, die Geständnisse, Name und Anschrift der Personen in der Zeitung zu veröffentlichen und diese Phase ging vorüber.[5]
Es häuften sich in der Zeit ebenfalls die Vermißten- meldungen und behinderten die Arbeit der Polizei. Ernst Gennat erklärte, dass die Polizei dafür zwar Verständnis habe, aber sehr oft alle anderen Möglichkeiten beim Fernbleiben eines Kinders oder eine jungen Frau zu rasch ausgeschlossen wurden und die Polizei zu früh informiert wurde. Er nennt diesen Zustand „Vermißten-Psychose“. Ihr folgte als Reaktion auf die Mörderbriefe eine Brief-Psychose, in der zahlreiche falsche Hinweise und Bekenner-Schreiben die Polizei überfluteten.[6]
In der Rückschau kann ergänzt werden, dass zu allem Überfluß die Polizei auch noch  zweifelhafte „Unterstützung“ erhielt. Es gab Männer, die sich in Frauenkleidern als Opfer anboten, um den Täter auf frischer Tat zu ertappen. Hellseher, Heilmagnetiseure, Telepathen, Magnetopathen, Pendelforscher, Astrologen, Traumdeuter, Medien und Graphologen wollten mit ihren Fähigkeiten den Serienmörder zur Strecke bringen. „Eine sonst geleugnete, untergründige Welt des Aberglaubens kam 1929/1930 zum Vorschein und rief vielfachen Widerhall in der Öffentlichkeit hervor.“, urteilt Peter Hüttenberger.[7]
Auch nach der Aufklärung der Taten Kürtens und seiner Verhaftung blieb er als Gespenst erhalten. Eltern drohten ihren Kinder mit „Peter Kürten“, er war und blieb in Düsseldorf der Inbegriff des Bösen.[8]
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[1] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.13.
[2] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.13f..
[3] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.14.
[4] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.54.
[5] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.55f.
[6] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.56.
[7] Peter Hüttenberger: Düsseldorf. Geschichte von den Anfängen bis ins 20.Jahrhundert. Band 3: Die Industrie- und Verwaltungsstadt (20.Jahrhundert), Düsseldorf, 2.Aufl. 1990, S.408f..
[8] Peter Hüttenberger: Düsseldorf. Geschichte von den Anfängen bis ins 20.Jahrhundert. Band 3: Die Industrie- und Verwaltungsstadt (20.Jahrhundert), Düsseldorf, 2.Aufl. 1990, S.411.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Ermittlungen (10): Wer ist der Täter?

Die Jagd auf den Düsseldorf Serienmörder blieb im November 1929 erfolglos. Weder die Mörderbriefe noch die Personenbeschreibungen lieferten heiße Spuren, selbst ein Hinweis eines ehemaligen Gefängnisgenosssen  führte nicht zum Erfolg. Anfang des Jahres 1930 veröffentlichte man eine Sondernummer des Kriminal-Magazins, aus der hier auch schon zitiert wurde, um die Bevölkerung zu informieren und zur Mitarbeit anzuregen. Es erschien ebenfalls eine Sondernummer des Deutschen Kriminal-Polizeiblattes [1]. Auch Ernst Gennat stellt die Frage nach dem immer noch nicht gefassten Täter in den Kriminalistischen Monatsheften im Jahr 1930. Im Nachwort des Kriminal-Magazins wird der Sinn der Publikation der Verbrechen erklärt:
„Diese Sonderausgabe des Kriminal-Magazins erscheint, weil es geboten ist, nicht nur im Rheinland, sondern in ganz Deutschland auf das Treiben des Düsseldorfer Massenmörders aufmerksam zu machen. […] Um den Düsseldorfer Massenmörder zu fassen, braucht man an besonderer, an wichtigster, an allererster Stelle die Mitarbeit der großen Masse. […] Wir schließen mit dem nochmaligen Aufruf an alle:
‚Helft den Düsseldorfer Mörder unschädlich machen!‚“[2]
In der Zusammenfassung der Erkenntnisse stellt das Kriminal-Magazin fest, dass der Täter „in erster Linie Kinder und Frauen“ angreift. Die Mehrzahl der Überfälle auf Frauen geschehe mit einem Schlagwerkzeug, während Kinder mit dem Messer angegriffen werden. Er verfüge beim Überfall über eine „geradezu meisterliche Gewandheit“. Seine weiblichen Opfer suche er im Milieu der Hausangestellten, bei Prostituierten oder Frauen, die „für außerehelichen Verkehr zu haben sind.“ Das Kriminal-Magazin vergleicht ihn in diesem Punkt mit Jack the Ripper. Als Zeitraum wird das Wochenende festgestellt, zwischen Donnerstag Abend und Sonntagabend, ab 7 Uhr abends bis 2 Uhr in der Nacht. Das hauptsächliche „Mordgebiet“ liegt zwischen dem Kern Düsseldorfs und den später eingemeindeten Vororten Grafenberg und Eller. In diesem Gebiet östlich von Flingern sind die Straßen und Wege noch nicht erschlossen, hier gibt es Bahndämme, Schrebergärten, Fabriken und industrielle Anlagen. Straßenlampen sind nicht vorhanden. Das Kriminal-Magazin stellt fest, dass der Mörder ein Sexualverbrecher und auch ein Fetischist sei, da er die Handtaschen und Hüte der Opfer mitnehme, aber er sei zu schlau, sie zu behalten. Entgegen früheren Überlegungen war das Magazin nun davon überzeugt, dass der Täter ein Alleingänger war und keinen weiblichen Zuträger für die Kindermorde hatte, worüber ein Zeitlang spekuliert wurde. Über seinen Stand erklärte man, dass er vielleicht ein selbstständiger Gewerbetreibender sei, vielleicht auch ein Spezialarbeiter. Sein Motiv sei nicht der Raub, sondern „Lust und Gier“. Das Kriminal-Magazin vermutet auch, dass der Mörder einen Kraftwagen oder ein Motorrad besäße, da er so schnell vom Tatort verschwände.[3]
Ernst Gennat „ergänzt“ einige Annahmen in den Kriminalistischen Monatsheften. So geht man davon aus, dass  der Mörder Ortskenntnis in Düsseldorf besitzt, ist sich aber nicht sicher, ob auch in der Stadt wohnt. Man verfolge ebenfalls den Hinweis im ersten Mörderbrief, wo er vom „Landsmann Gennat“ spricht, dass der Täter aus Berlin oder Ostpreußen stammen könne. Man geht außerdem davon aus, dass der Täter zwischen dem 11.August 1929 (Mord an Maria Hahn) und dem 7.November 1929 (Mord an Gertrud Albermann) in ein „Stadium des Blutrausches“ gekommen sei. Eine Geisteskrankheit schließt Gennat aus und führt als Beweis die Klarheit und Genauigkeit der Mörderbriefe an. Der Kriminalist geht auch davon aus, dass es den Mörder immer wieder zu den Tatorten hinziehe und er deshalb das Grab der Maria Hahn Preis gab, um sich selbst zu schützen.[4]
„Die Ermordung der kleinen A. ist die letzte vom Täter bisher bekannte Tat, -sein Brief vom 8.11.1929 – sein letztes (bekanntes) Lebenszeichen. […] Hat der Täter die Gegend verlassen? Ist er erkrankt, verstorben? Vielleicht durch Selbstmord aus dem Leben geschieden? Befindet er sich im Gefängnis? In einer Nervenheil- und Pflegeanstalt?“[5]
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[1] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.62.
[2] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.37 (Hervorhebung im Original).
[3] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.28 ff.
[4] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.62ff.
[5] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.62.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.