Archiv der Kategorie: Der Fall damals
Vor Gericht (3): Das Urteil
„Im Namen des Volkes hat das Schwurgericht in Düsseldorf für Recht erkannt:
Der Angeklagte ist des Mordes in 9 (neun) Fällen, in 2 Fällen begangen in Tateinheit mit vollendeter Notzucht, in einem Falle begangen in Tateinheit mit gewaltsamer Vornahme unzüchtiger Handlungen, schuldig. Er wird für jeden Fall des Mordes mit dem Tode bestraft.
Der Angeklagte wurde ferner wegen Mordversuches in 7 (sieben) Fälle zu einer Gesamtzuchthausstrafe von 15 (fünfzehn) Jahren verurteilt.
Die bürgerlichen Ehrenrechte werden dem Angeklagten auf Lebenszeit aberkannt, auch wird Polizeiaufsicht für zulässig erklärt.
Die beschlagnahmten 2 Scheren, der Hammer und die Dolchspitze werden eingezogen.
Die Kosten des Verfahrens fallen dem Angeklagten zur Last.“[1]
Direkt im Anschluss an die Urteilsbegründung erklärten Verteidigung und Anklage den Verzicht auf die Einlegung von Rechtsmittel, sodass das Urteil am Tag der Ver- kündigung rechtskräftig wurde.[2]
Vor Gericht (2): Die Plädoyers
„Das Gesamtbild, das der Prozeß von den Verbrechen und der Täterpersönlichkeit gegeben hat, hat eine solche abgrundtiefe Verkommenheit, eine solche Gefährlichkeit des Täters und eine solche Menge Opfer gezeigt, daß wir nur hoffen können, daß sich ein solcher Fall niemals wiederholen möge. Wenn jemals ein Lustmörder die Todesstrafe verdient hat, so ist es Peter Kürten.“[1]
„Dies wird insbesondere dann klar, wenn wir uns selbst überlegen, daß wir doch alle psychisch einfach nicht in der Lage wären, solche Taten zu begehen, während bei Kürten nicht nur keine Hemmungen vorhanden waren, sondern ein äußerst starker Trieb, diese Taten zu begehen und einer Art zu häufen, daß wir vor einem psychologischen Rätsel stehen.“[2]
„Wird so nicht auch der Angeklagte das Recht haben, seinerseits Anklage zu erheben gegen sein Schicksal und zu sagen:
Warum bin ich geboren als der Sohn eines Trinkers, eines Sexualverbrechers?
Warum bin ich nicht geboren im lichten Raum?
Warum bin ich ohne Erziehung wie Unkraut am Wege aufgewachsen?
Warum habe ich diese scheußliche Veranlagung, die geschlechtliche Perversion, mit zur Welt gebracht?
Warum bin ich nicht geboren als ein Mensch, wie sie hier um mich versammelt sind?, für die es einfach eine Unmöglichkeit wäre, solche Taten zu begehen, ohne daß es ihr eigenes Verdienst ist?“[3]
„Und wenn Sie dieses alles in Betracht ziehen und meinen guten Willem, alle Taten zu sühnen und Buße zu tun, erkennen, dann glaube ich doch, daß das große Rache- und Haßgefühl gegen mich nicht nachhalten wird, und ich möchte Sie bitten: Seien Sie versöhnt!“[7]
Vor Gericht (1): Der Fall Peter Kürten
„I.des Mordes in 9 Fällen und zwar1. 25.5.13 in Köln-Mülheim – Christine Klein
2. 8.2.29 in Düsseldorf-Flingern – Rosa Ohliger
3. 12./13.2.29 in Düsseldorf-Flingern – Rudolf Scheer
4. 11.8.29 in Papendell – Maria Hahn
5. 24.8.29 in Düsseldorf-Flehe – Luise Lenzen und
6. Luise [richtig: Gertrud, Anm.JNK] Hamacher
7. 29.9.29 in Düsseldorf-Oberkassel – Ida Reuter
8. 11.10.29 in Düsseldorf-Gerresheim – Elisabeth Dörrier
9. 7.11.29 in Düsseldorf-Grafenberg – Gertrud Albermann
II. des versuchten Mordes wird K. in 7 Fällen angeklagt, und zwar
1. 3.2.29 in Düsseldorf-Gerresheim – Apollonia Kühn
2. 21.8.29 in Düsseldorf-Lierenfeld – Anna Goldhausen
3. am gleichen Tag daselbst Olga Mantel
4. am gleichen Tag daselbst Heirnich Kornblum
5. 25.8.29 in Düsseldorf-Niederkassel – Gertrud Schulte
6. 25.10.29 in Düsseldorf-Flingern – Hubertine Meuer
7. am gleichen Tage in Düsseldorf (Hofgarten) – Klara Wanders
III. in allen Fällen – mit Ausnahme der Fälle Scheer (I,3) und Kornblum (II,4) – wird K. außerdem angeklagt, mit Gewalt unzüchtige Handlungen an Frauenspersonen vorgenommen zu haben.
IV. in den Fällen Reuter, Dörrier und Albermann (I 7, 8 und 9) wird K. weiter angeklagt, durch dieselben Handlungen Frauenspersonen zum außerehelichen Beischlaf mißbraucht zu haben, nachdem er sie zu diesem Zwecke in einen bewußtlosen Zustand versetzt hatte;
V. im Falle Schulte wird K. außerdem noch wegen versuchter Notzucht angeklagt.“[1]
„Der ganzen Veranlagung des K. entsprechend stellte die Hauptverhandlung sicherlich einen Höhepunkt seines bisherigen Lebens dar: wenn er z.B. das Wort ausdrücklich an die Presse richtete und zur Abfassung sachlicher Berichte mahnte unter Hinweis auf die Schädigungen, die gerade er er durch schlechter Lektüre erlitten habe.“[3]
Kriminalistik (4): Die Fehler der Polizei
„Konnte man die Täterschaft des Kürten früher feststellen und auf welchem Wege?“
Diese Frage steht über dem letzten Artikel aus Ernst Gennats Serie über den Düsseldorfer Serienmörder. Dazu stellt der Kriminalist fest, dass Peter Kürten trotz seiner vielen Vorstrafen bis zum Beginn der Ermittlungen nie wegen Sittlichkeitsdelikten verurteilt worden war, wenngleich er 1913 und 1926 zweimal wegen Notzucht angeklagt worden war. Auch sein Umfeld, seine Frau oder Beteiligte des Strafvollzugs (abgesehen von Wilhelm Hofer) haben nie Anzeichen bemerkt, die Kürten verdächtig machten. Auf frischer Tat wurde er nie ertappt, ja es wurde auch nie Anzeige von den betroffenen Frauen erstattet.
Als Fehler der Polizei sind zwei falsche Festnahmen und sogar Verurteilungen zu werten. Das betraf im Frühjahr 1929 den Geisteskranken Stausberg, dessen Unschuld durch die Verurteilung Kürtens beweisen wurde. Man muss an dieser Stelle sicher kritisieren, dass die Polizei zu leichtgläubig war und sich durch ein falsches Geständnis täuschen ließ. Auch im Fall Klein im Jahr 1913 wurde der Onkel des Kindes fälschlicherweise verurteilt. Der Onkel haßte den Vater des Mädchens (seinen Bruder) und einige Zeugen meinten ihn am Tatabend in der Nähe gesehen zu haben. [1] Ernst Gennat stellte fest:
„Ein Rückblick aus der jetzigen Situation zeigt in außerordentlich lehrreicher Weise, wie leicht durch Verkettung irgendwelcher Umstände auch ein Unschuldiger in Verdacht geraten kann.“[2]
Der Gerichtsmediziner Karl Berg erinnert noch einmal an die scharfe Kritik an der Polizeiarbeit, die aus seiner Sicht zu Unrecht geäußert wurde. Berg erklärt, wieso die Ermittlungen so schwierig waren: Serienmörder zeichnen sich, so die damalige Lehrmeinung, durch die stets gleiche Ausführung ihrer Taten aus. Doch im Fall Kürten gibt es keine übergreifenden eindeutigen Gemeinsamkeiten:
„Das sexuelle Motiv lag bei fünf Morden in dem spezifischen Genitalbefund klar zutage, bei anderen, bei dem ermordeten Scheer oder dem gestochenen Kornblum oder der Frau Meurer war es nicht erweislich. Verschieden war auch die Art des Angriffs mit einleitendem Würgen bei Ohliger, Hamacher, Lenzen, Albermann; aber bei den überlebenden Opfern fehlte wiederum das Würgen. Sodann die große Zahl der Stiche bei der einen Reihe der Opfer, ihr Fehlen bei anderen und die Hammerschläge sprachen auch gegen den gleichen Täter.“[3]
Ein weiterer Irrtum, den Berg im Nachhinein feststellt, war die Erwartung, dass angesichts der „Scheußlichkeit der Morde“ nur ein Geisteskranker als Täter in Frage komme.[4]
Weitere Fehler der Polizei ergeben sich aus den Erklärungen Kürtens in der Haft. So war er im Gespräch mit einem Kriminalbeamten, als dieser auf dem Weg zum Tatort im Fall Scheer war und dieser ging seinem Mißtrauen nicht nach, als er merkte, dass Kürten sehr detailliert informiert war. Auch die wiederholte Rückkehr an den Tatort wie im Fall Ohliger wäre eine Möglichkeit für die Polizei gewesen den Täter zu stellen.
Weniger ein Fehler der Polizei an sich ist die Tatsache, dass die vergewaltigten Frauen ihn Peter Kürten nie bei der Polizei anzeigten. Sie hatten wohl kein Vertrauen in die Arbeit der Polizei bzw. fürchteten sie sich oder schämten sich ihr Schicksal bei der Polizei preiszugeben und damit in die Öffentlichkeit zu treten. Aber man muss klar konstatieren, dass dieses Problem bis heute besteht.
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[2] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.208.
Kriminalistik (3): Die Fotografie
„Die Fotografie revolutionierte die Spuren- sicherung, die Auswertung der Spuren und die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Instanzen des Ermittlungs- und Strafverfahrens. Sie ermöglichte die Zirkulation von Beweismitteln ebenso wie von Portraits gesuchter bzw. zu identifizierender Verbrecher.“[2]
Lichtbild (9): Der Serienmörder von Düsseldorf. Lichtbilder von Peter Kürten
Ermittlungen (12): Zugriff am Rochus-Platz.
„[…] überhaupt diese polizeilichen Protokolle, die enthalten auch manches, was nicht so in allen Punkten meine persönliche Wiedergabe gewesen wäre. Wissen Sie, das ging nachher schon so’n bißchen [sic] nach Schema F, und man hat das schon so gewissermaßen ins Humoristische hineingezogen, wenn ich das immer wiederholte, und der Beamte, der da an der Schreibmaschine saß, der konnte sehr schnell schreiben, ein Kriminalbeamter, der sagte in den meisten Fällen zu mir: ‚Na, Pitter, wie taufen wir das Kind? Nächste Nummer!‘ […]
Denn ich habe so den Eindruck bekommen von denen, als ob die auf dem Standpunkt standen, man muß das Eisen schmieden, so lange es noch warm ist. Das müssen Sie nicht alles so wörtlich nehmen […]. Ich habe mir da was drauf eingebildet, daß da so viel Wesens gemacht wurde. […] Ich habe gehört, wie die Rede davon war, die Unterredung stattfand mit französischen Zeitungsberichterstattern: ‚Schicken Sie gleich Bild mit Flugzeug, großes Honorar.‘ Und alles hat mich da auf dem Polizeipräsidium angestaunt, gewissermaßen als Wundertier.“[3]
[2] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.43f.
[3] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.144.
[4] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.199.
Ermittlungen (11): Komissar Zufall hilft
[2] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.196.
[3] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.43.
[4] Karl Berg: Der Sadist, S.105.
[5] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.96.
[6] Karl Berg: Der Sadist, S.106.
[7] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.97. Siehe auch: Karl Berg, Der Sadist, S.107.
[8] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.97.
Die Angstpsychose: Eine Stadt in Furcht vor dem Serienmörder
„Düsseldorf fiebert! Das Rheinland zittert in Spannung! Sagen wir ruhig: Ganz Deutschland stürzt in diesen Tagen von einer Sensation in die andere. Ein Massenmörder treibt seit Anfang des Jahres in Düsseldorf sein Unwesen. Wie ein Raubtier bricht er plötzlich aus seinem Versteck hervor, sticht mit einem langen Messer Kidner nieder und überfällt Frauen, die er mit einem seltsamen, hammerartigen Mordwerkezug niederschlägt.[…]“[1]
Im Folgenden schildert das Kriminal-Magazin dann die Wirkung auf die Bevölkerung:
„Auf die leisesten Verdächtigungen hin enstehen Menschenansammlungen. In einem solchen Falle wurde ein harmloser Mann, der seine kleine Nichte auf der Straße spielen sah und sie fürsorglich mit sich nahm, damit sie von der Straße wegkäme, bei der Polizei der Kindesentführung verdächtigt und festgenommen. Nur das Überfallkommando konnte den Harmlosen vor „Richter Lynch“ bewahren. Ein ungerheurer Alpdruck lastet seit Monaten über der schönen, sinnenfrohen Garten- und Kunststadt am Niederrhein. Keiner traut mehr dem anderen. Freundschaften gehen auseinander, weil Verdachts- momente auftauchen.[2]
„Während des Stadiums der „Ueberfall-Psychose“ verging fast kein Abend, an dem nicht Mitglieder der Mordkommission mit dem Ueberfall-Kommando ausrücken mußten, um neu gemeldete „Ueberfälle“ zu prüfen…“[4]
[2] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.13f..
[3] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.14.
[4] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.54.
[5] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.55f.
[6] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.56.
[7] Peter Hüttenberger: Düsseldorf. Geschichte von den Anfängen bis ins 20.Jahrhundert. Band 3: Die Industrie- und Verwaltungsstadt (20.Jahrhundert), Düsseldorf, 2.Aufl. 1990, S.408f..
[8] Peter Hüttenberger: Düsseldorf. Geschichte von den Anfängen bis ins 20.Jahrhundert. Band 3: Die Industrie- und Verwaltungsstadt (20.Jahrhundert), Düsseldorf, 2.Aufl. 1990, S.411.
Ermittlungen (10): Wer ist der Täter?
„Diese Sonderausgabe des Kriminal-Magazins erscheint, weil es geboten ist, nicht nur im Rheinland, sondern in ganz Deutschland auf das Treiben des Düsseldorfer Massenmörders aufmerksam zu machen. […] Um den Düsseldorfer Massenmörder zu fassen, braucht man an besonderer, an wichtigster, an allererster Stelle die Mitarbeit der großen Masse. […] Wir schließen mit dem nochmaligen Aufruf an alle:
‚Helft den Düsseldorfer Mörder unschädlich machen!‚“[2]
„Die Ermordung der kleinen A. ist die letzte vom Täter bisher bekannte Tat, -sein Brief vom 8.11.1929 – sein letztes (bekanntes) Lebenszeichen. […] Hat der Täter die Gegend verlassen? Ist er erkrankt, verstorben? Vielleicht durch Selbstmord aus dem Leben geschieden? Befindet er sich im Gefängnis? In einer Nervenheil- und Pflegeanstalt?“[5]
[5] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.62.