Die Geschichte der Gerichtsmedizin ist fast so alt wie die der Kriminalistik, ihre Wurzeln reichen bis in die Antike zurück. Heute hat sie beinahe eine unheimliche Präsenz in allerlei Fernsehserien wie Quincy, Bones – die Knochenjägerin, Crossing Jordan und natürlich in zahlreichen Tatort-Folgen.
1532 schuf die Constitutio Criminalis Carolina einen neuen einheitlichen Standard der damaligen modernen Gerichts- medizin für die folgenden Jahrhunderte. Im Laufe des 17.Jahrhunderts wurde Obduktionen üblich. Im 19.Jahr- hundert entwickelten sich gerichtsmedizinische Institute, in denen sich Mediziner auf die Arbeit in der Rechtsmedizin spezialisieren konnten. Seit dem späten 18.Jahrhundert beschäftigten sich Gerichtsmediziner nicht nur mit den Opfern, sondern zunehmend auch mit den Tätern. Die Zurechnungsfähigkeit rückte im Strafrecht mehr in den Fokus bei der Rechtsprechung und die Beurteilung fiel den Medizinern zu. In dieser Tradition stehen auch die Gespräche Kürtens mit Prof. Berg und Prof. Sioli.
Einer der ersten bedeutenden Fälle der Gerichtsmedizin war ein Fall aus Zeitz in der Nähe von Leipzig. Eine junge, unverheiratete Frau war schwanger geworden, hatte das Kind entbunden und dann behauptet, es sei eine Totgeburt gewesen. Die Nachbarn suchten nach der Leiche des Sauglings und fanden ihn im Garten. Kindstötungen waren in der damaligen Zeit nicht ungewöhnlich und eigentlich schien der Fall klar, hatte der Säugling doch eindeutige Verletzungen am Kopf. Der Stadtarzt, Johannes Schreyer, glaubte der jungen Frau, das eigentlich noch ein Mädchen war, jedoch und behauptete, die Verletzungen am Kopf stammten von der Suche nach dem Leichnam. Nun musste er beweisen, dass das Kind bei der Geburt tot war. Schreyer erfand die Lungenschwimmprobe. Die Lunge eines ungeborenen Säuglings ist kompakt und gefaltet und entfaltet sich erst mit dem ersten Atemzug. Sinkt die dem Leichnam entnommene Lunge im Wasser, hat der Säugling demnach nicht geatmet. So konnte er nachweisen, dass der Säugling bereits bei der Geburt tot gewesen war.
Nicht nur bei Kindsmorden ermittelten die Gerichts- mediziner. Auch bei Gewaltdelikten war es ihre Aufgabe die „tödliche Wunde“ zu bestimmen, auch wenn das bei dem damaligen Kenntnsistand der Mediziner nicht immer einfach war. Bei Sittlichkeitsdelikten, zumeist Vergewaltigungen untersuchten Gerichtsmediziner die Opfer, doch die vorherrschende Meinung der Gesellschaft meinte es bis ins 19.Jahrhundert nicht gut mit vergewaltigten Frauen, es sei denn sie waren zu dem Zeitpunkt noch Jungfrauen.
Darüber hinaus gewann die gerichtliche Psychologie einen immer höhereln Stellenwert. Glaubte man im 17.Jahrhundert noch an Dämonen, schien Geisteskrankheit im 18.Jahrhundert eine Folge körperlicher Unzulänglichkeiten zu sein. Im 19.Jahrhundert verfolgte man Theorien der Degeneration und Nervenschwäche.
Ein weiterer Arbeitsbereich der Rechtsmedizin war und ist die Identitätsermittlung. Heute wird dies über den Zahnstatus, besondere körperliche Merkmale und DNS- Analysen geleistet. Seit dem 19.Jahrhundert beschäftigte sich die Gerichtsmedizin mit der Identitätsermittlung. Zur Alterbestimmung verwendete man die Untersuchung der Zähne, genauer der Zahnzementringe. Ein weiteres probates Mittel war die „Moulage“. Der Anatom Wilhelm His sollte 1894 die Gebeine eines älteren Mannes identifzieren, die man bei Umbauarbeiten der Johanneskirche in Leipzig gefunden hatte und über deren Identität es nur mündliche Überlieferungen gab. His hatte vorher die Weichteildicke bei Europäer untersucht und hatte eine weitgehende Konstanz entdeckt. Er beauftragte einen Bildhauer einen Schädelabdruck entsprechend seinen Erkenntnissen mit Weichteilen zu modellieren. Es entstand eine Büste, die zeitgenössischen Porträts eines bekannten Komponisten so sehr glich, dass eine Prüfungskommission unzweifelhaft die Identität feststellen konnte: Es war Johann Sebastian Bach.
In den 1930er Jahren fertigte der Erkennungsdienst der Wiener Polizei nach diesem (inzwischen verbesserten Vorbild) jährlich 120 Abgüsse von Gesichtern und Körperteilen.
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[1] Peter Becker: Dem Täter auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminalistik, Darmstadt 2005 S.42-62.