Archiv der Kategorie: Ernst Gennat

Kriminalistik (4): Die Fehler der Polizei

„Konnte man die Täterschaft des Kürten früher feststellen und auf welchem Wege?“

Diese Frage steht über dem letzten Artikel aus Ernst Gennats Serie über den Düsseldorfer Serienmörder. Dazu stellt der Kriminalist fest, dass Peter Kürten trotz seiner vielen Vorstrafen bis zum Beginn der Ermittlungen nie wegen Sittlichkeitsdelikten verurteilt worden war, wenngleich er 1913 und 1926 zweimal wegen Notzucht angeklagt worden war. Auch sein Umfeld, seine Frau oder Beteiligte des Strafvollzugs (abgesehen von Wilhelm Hofer) haben nie Anzeichen bemerkt, die Kürten verdächtig machten. Auf frischer Tat wurde er nie ertappt, ja es wurde auch nie Anzeige von den betroffenen Frauen erstattet.
Als Fehler der Polizei sind zwei falsche Festnahmen und sogar Verurteilungen zu werten. Das betraf im Frühjahr 1929 den Geisteskranken Stausberg, dessen Unschuld durch die Verurteilung Kürtens beweisen wurde. Man muss an dieser Stelle sicher kritisieren, dass die Polizei zu leichtgläubig war und sich durch ein falsches Geständnis täuschen ließ. Auch im Fall Klein im Jahr 1913 wurde der Onkel des Kindes fälschlicherweise verurteilt. Der Onkel haßte den Vater des Mädchens (seinen Bruder) und einige Zeugen meinten ihn am Tatabend in der Nähe gesehen zu haben. [1] Ernst Gennat stellte fest:

„Ein Rückblick aus der jetzigen Situation zeigt in außerordentlich lehrreicher Weise, wie leicht durch Verkettung irgendwelcher Umstände auch ein Unschuldiger in Verdacht geraten kann.“[2]

Der Gerichtsmediziner Karl Berg erinnert noch einmal an die scharfe Kritik an der Polizeiarbeit, die aus seiner Sicht zu Unrecht geäußert wurde. Berg erklärt, wieso die Ermittlungen so schwierig waren: Serienmörder zeichnen sich, so die damalige Lehrmeinung, durch die stets gleiche Ausführung ihrer Taten aus. Doch im Fall Kürten gibt es keine übergreifenden eindeutigen Gemeinsamkeiten:

„Das sexuelle Motiv lag bei fünf Morden in dem spezifischen Genitalbefund klar zutage, bei anderen, bei dem ermordeten Scheer oder dem gestochenen Kornblum oder der Frau Meurer war es nicht erweislich. Verschieden war auch die Art des Angriffs mit einleitendem Würgen bei Ohliger, Hamacher, Lenzen, Albermann; aber bei den überlebenden Opfern fehlte wiederum  das Würgen. Sodann die große Zahl der Stiche bei der einen Reihe der Opfer, ihr Fehlen bei anderen und die Hammerschläge sprachen auch gegen den gleichen Täter.“[3]

Ein weiterer Irrtum, den Berg im Nachhinein feststellt, war die Erwartung, dass angesichts der „Scheußlichkeit der Morde“ nur ein Geisteskranker als Täter in Frage komme.[4]
Weitere Fehler der Polizei ergeben sich aus den Erklärungen Kürtens in der Haft. So war er im Gespräch mit einem Kriminalbeamten, als dieser auf dem Weg zum Tatort im Fall Scheer war und dieser ging seinem Mißtrauen nicht nach, als er merkte, dass Kürten sehr detailliert informiert war. Auch die wiederholte Rückkehr an den Tatort wie im Fall Ohliger wäre eine Möglichkeit für die Polizei gewesen den Täter zu stellen.
Weniger ein Fehler der Polizei an sich ist die Tatsache, dass die vergewaltigten Frauen ihn Peter Kürten nie bei der Polizei anzeigten. Sie hatten wohl kein Vertrauen in die Arbeit der Polizei bzw. fürchteten sie sich oder schämten sich ihr Schicksal bei der Polizei preiszugeben und damit in die Öffentlichkeit zu treten. Aber man muss klar konstatieren, dass dieses Problem bis heute besteht.

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[1] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.205f..
[2] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.208.
[3] Karl Berg: Der Sadist, S.102.
[4] Karl Berg: Der Sadist, S.103.
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Die Angstpsychose: Eine Stadt in Furcht vor dem Serienmörder

Spricht man einen alteingessenen Düsseldorfer heute auf den Vampir von Düsseldorf an, so ist der Name jedem ein Begriff. Auch wenn die wenigsten, die heute noch leben, die Zeit als Erwachsene erlebt haben, so ist auch bei denen, die damals Kindern waren, die bedrückende Atmosphäre des halben Jahrs der Serienmorde zwischen August und November, die Furcht vor einem scheinbar übermächtigen Mörder, immer noch präsent. Auch bei deren Kindern ist der Name Peter Kürten eng mit der Vorstellung einer Stadt im Angstzustand verbunden. Was lässt sich in den zeitgenössischen Quellen über die Angstzustände heraus finden?
Das Kriminal-Magazin leitete seine Sondernummer über den Fall mit folgenden Worten ein:
„Düsseldorf fiebert! Das Rheinland zittert in Spannung! Sagen wir ruhig: Ganz Deutschland stürzt in diesen Tagen von einer Sensation in die andere. Ein Massenmörder treibt seit Anfang des Jahres in Düsseldorf sein Unwesen. Wie ein Raubtier bricht er plötzlich aus seinem Versteck hervor, sticht mit einem langen Messer Kidner nieder und überfällt Frauen, die er mit einem seltsamen, hammerartigen Mordwerkezug niederschlägt.[…]“[1]

Im Folgenden schildert das Kriminal-Magazin dann die Wirkung auf die Bevölkerung:

„Auf die leisesten Verdächtigungen hin enstehen Menschenansammlungen. In einem solchen Falle wurde ein harmloser Mann, der seine kleine Nichte auf der Straße spielen sah und sie fürsorglich mit sich nahm, damit sie von der Straße wegkäme, bei der Polizei der Kindesentführung verdächtigt und festgenommen. Nur das Überfallkommando konnte den Harmlosen vor „Richter Lynch“ bewahren. Ein ungerheurer Alpdruck lastet seit Monaten über der schönen, sinnenfrohen Garten- und Kunststadt am Niederrhein. Keiner traut mehr dem anderen. Freundschaften gehen auseinander, weil Verdachts- momente auftauchen.[2]

 Spielende Kinder sehe man in Düsseldorfs Straßen kaum noch, führt das Magazin weiter aus. Wenn es dunkel werde, sei jeder doppelt auf der Hut. Selbst ein Meisterclown, der ein Gastspiel im Apollotheater gab, könne nichts gegen die drückende Depression ausrichten, überall in der Stadt hingen Plakate mit Versprechungen von großen Belohnungen („15.000 Mark“ titelt das Kriminal-Magazin), doch die Menschen glaubten nicht mehr an einen Erfolg der systematische Suche der Polizei, die an den Grenzen ihrer Kräfte sei.[3]
Ernst Gennats Blick richtet sich auf die Rolle der Polizei während der Angstpsychose. Er spricht von einem „Kriegs- zustand“ in der Stadt, der allerdings nicht so schlimm sei, wie in den Sensationsmeldungen der Presse zu lesen war. Als Besipiel führt er Meldungen über das Tragen von stählernen Halskrausen oder von Stahlhelmen mit Rosen- verzierung an. Die Meldungen an die Polizei überschlugen sich:
„Während des Stadiums der „Ueberfall-Psychose“ verging fast kein Abend, an dem nicht Mitglieder der Mordkommission mit dem Ueberfall-Kommando ausrücken mußten, um neu gemeldete „Ueberfälle“ zu prüfen…“[4]
Viele Meldungen solte eigene Verfehlungen verdecken. So meldete ein 15jähriger Junge, dass er vom Rad gezerrt und in den Arm gestochen wurde. Nach wenigen Minuten gestand er, dass er einfach mit dem Rad in der Dunkelheit gestürzt war. Sein Vater hatte ihm verboten damit im Dunkeln zu fahren. Schließlich ging Polizei dazu über alle Fälle, die Geständnisse, Name und Anschrift der Personen in der Zeitung zu veröffentlichen und diese Phase ging vorüber.[5]
Es häuften sich in der Zeit ebenfalls die Vermißten- meldungen und behinderten die Arbeit der Polizei. Ernst Gennat erklärte, dass die Polizei dafür zwar Verständnis habe, aber sehr oft alle anderen Möglichkeiten beim Fernbleiben eines Kinders oder eine jungen Frau zu rasch ausgeschlossen wurden und die Polizei zu früh informiert wurde. Er nennt diesen Zustand „Vermißten-Psychose“. Ihr folgte als Reaktion auf die Mörderbriefe eine Brief-Psychose, in der zahlreiche falsche Hinweise und Bekenner-Schreiben die Polizei überfluteten.[6]
In der Rückschau kann ergänzt werden, dass zu allem Überfluß die Polizei auch noch  zweifelhafte „Unterstützung“ erhielt. Es gab Männer, die sich in Frauenkleidern als Opfer anboten, um den Täter auf frischer Tat zu ertappen. Hellseher, Heilmagnetiseure, Telepathen, Magnetopathen, Pendelforscher, Astrologen, Traumdeuter, Medien und Graphologen wollten mit ihren Fähigkeiten den Serienmörder zur Strecke bringen. „Eine sonst geleugnete, untergründige Welt des Aberglaubens kam 1929/1930 zum Vorschein und rief vielfachen Widerhall in der Öffentlichkeit hervor.“, urteilt Peter Hüttenberger.[7]
Auch nach der Aufklärung der Taten Kürtens und seiner Verhaftung blieb er als Gespenst erhalten. Eltern drohten ihren Kinder mit „Peter Kürten“, er war und blieb in Düsseldorf der Inbegriff des Bösen.[8]
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[1] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.13.
[2] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.13f..
[3] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.14.
[4] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.54.
[5] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.55f.
[6] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.56.
[7] Peter Hüttenberger: Düsseldorf. Geschichte von den Anfängen bis ins 20.Jahrhundert. Band 3: Die Industrie- und Verwaltungsstadt (20.Jahrhundert), Düsseldorf, 2.Aufl. 1990, S.408f..
[8] Peter Hüttenberger: Düsseldorf. Geschichte von den Anfängen bis ins 20.Jahrhundert. Band 3: Die Industrie- und Verwaltungsstadt (20.Jahrhundert), Düsseldorf, 2.Aufl. 1990, S.411.
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Ermittlungen (10): Wer ist der Täter?

Die Jagd auf den Düsseldorf Serienmörder blieb im November 1929 erfolglos. Weder die Mörderbriefe noch die Personenbeschreibungen lieferten heiße Spuren, selbst ein Hinweis eines ehemaligen Gefängnisgenosssen  führte nicht zum Erfolg. Anfang des Jahres 1930 veröffentlichte man eine Sondernummer des Kriminal-Magazins, aus der hier auch schon zitiert wurde, um die Bevölkerung zu informieren und zur Mitarbeit anzuregen. Es erschien ebenfalls eine Sondernummer des Deutschen Kriminal-Polizeiblattes [1]. Auch Ernst Gennat stellt die Frage nach dem immer noch nicht gefassten Täter in den Kriminalistischen Monatsheften im Jahr 1930. Im Nachwort des Kriminal-Magazins wird der Sinn der Publikation der Verbrechen erklärt:
„Diese Sonderausgabe des Kriminal-Magazins erscheint, weil es geboten ist, nicht nur im Rheinland, sondern in ganz Deutschland auf das Treiben des Düsseldorfer Massenmörders aufmerksam zu machen. […] Um den Düsseldorfer Massenmörder zu fassen, braucht man an besonderer, an wichtigster, an allererster Stelle die Mitarbeit der großen Masse. […] Wir schließen mit dem nochmaligen Aufruf an alle:
‚Helft den Düsseldorfer Mörder unschädlich machen!‚“[2]
In der Zusammenfassung der Erkenntnisse stellt das Kriminal-Magazin fest, dass der Täter „in erster Linie Kinder und Frauen“ angreift. Die Mehrzahl der Überfälle auf Frauen geschehe mit einem Schlagwerkzeug, während Kinder mit dem Messer angegriffen werden. Er verfüge beim Überfall über eine „geradezu meisterliche Gewandheit“. Seine weiblichen Opfer suche er im Milieu der Hausangestellten, bei Prostituierten oder Frauen, die „für außerehelichen Verkehr zu haben sind.“ Das Kriminal-Magazin vergleicht ihn in diesem Punkt mit Jack the Ripper. Als Zeitraum wird das Wochenende festgestellt, zwischen Donnerstag Abend und Sonntagabend, ab 7 Uhr abends bis 2 Uhr in der Nacht. Das hauptsächliche „Mordgebiet“ liegt zwischen dem Kern Düsseldorfs und den später eingemeindeten Vororten Grafenberg und Eller. In diesem Gebiet östlich von Flingern sind die Straßen und Wege noch nicht erschlossen, hier gibt es Bahndämme, Schrebergärten, Fabriken und industrielle Anlagen. Straßenlampen sind nicht vorhanden. Das Kriminal-Magazin stellt fest, dass der Mörder ein Sexualverbrecher und auch ein Fetischist sei, da er die Handtaschen und Hüte der Opfer mitnehme, aber er sei zu schlau, sie zu behalten. Entgegen früheren Überlegungen war das Magazin nun davon überzeugt, dass der Täter ein Alleingänger war und keinen weiblichen Zuträger für die Kindermorde hatte, worüber ein Zeitlang spekuliert wurde. Über seinen Stand erklärte man, dass er vielleicht ein selbstständiger Gewerbetreibender sei, vielleicht auch ein Spezialarbeiter. Sein Motiv sei nicht der Raub, sondern „Lust und Gier“. Das Kriminal-Magazin vermutet auch, dass der Mörder einen Kraftwagen oder ein Motorrad besäße, da er so schnell vom Tatort verschwände.[3]
Ernst Gennat „ergänzt“ einige Annahmen in den Kriminalistischen Monatsheften. So geht man davon aus, dass  der Mörder Ortskenntnis in Düsseldorf besitzt, ist sich aber nicht sicher, ob auch in der Stadt wohnt. Man verfolge ebenfalls den Hinweis im ersten Mörderbrief, wo er vom „Landsmann Gennat“ spricht, dass der Täter aus Berlin oder Ostpreußen stammen könne. Man geht außerdem davon aus, dass der Täter zwischen dem 11.August 1929 (Mord an Maria Hahn) und dem 7.November 1929 (Mord an Gertrud Albermann) in ein „Stadium des Blutrausches“ gekommen sei. Eine Geisteskrankheit schließt Gennat aus und führt als Beweis die Klarheit und Genauigkeit der Mörderbriefe an. Der Kriminalist geht auch davon aus, dass es den Mörder immer wieder zu den Tatorten hinziehe und er deshalb das Grab der Maria Hahn Preis gab, um sich selbst zu schützen.[4]
„Die Ermordung der kleinen A. ist die letzte vom Täter bisher bekannte Tat, -sein Brief vom 8.11.1929 – sein letztes (bekanntes) Lebenszeichen. […] Hat der Täter die Gegend verlassen? Ist er erkrankt, verstorben? Vielleicht durch Selbstmord aus dem Leben geschieden? Befindet er sich im Gefängnis? In einer Nervenheil- und Pflegeanstalt?“[5]
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[1] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.62.
[2] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.37 (Hervorhebung im Original).
[3] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.28 ff.
[4] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.62ff.
[5] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.62.
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Ermittlungen (9): Kürten im Fokus

Nach dem Mord an Gertrud Albermann und dem Auffinden der Leiche von Maria Hahn meldete sich ein gewisser Wilhelm Hofer bei der Kriminalpolizei und verdächtigte den damals völlig unbekannten Peter Kürten der Tat. Er gab an, mit Peter Kürten 1928 einige Zeit in Untersuchungshaft in Düsseldorf-Derendorf gesessen zu haben. Die beiden waren Zellengenossen und waren „als Hausknechte“ im Gefängnis beschäftigt. Kürten vertraute Hofer und erzählte ihm von vergangenen „Liebesabenteuern“ und auch von einer der Haft vorangegangenen Bekannschaft eines Mädchens aus dem Zoo-Viertel. Er phantasierte auch von sexuellen Handlungen (u.a. von Bissen und von fließendem Blut), die Hofer als pervers bezeichnete. Eine Angewohnheit Kürtens in der Haft sei gewesen, jemandem, der ihm entgegen kam, plötzlich nach dem Geschlechtsteil zu greifen, was er auch bei seinem Zellengenossen tat.
Angeblich bekam Kürten in der Haft einmal einen Brief, in dem ihm angeboten wurde, dass ihm ein Teil der Haft entlassen würde, wenn er verspräche das Stadtgebiet zu verlassen. Darüber soll er sehr erbost gewesen sein und sprach von Rache an einem Staatsanwaltschaftsrat Jansen.
Während des Jahres 1929 und der Mordserie schöpfte Wilhelm Hofer zuerst keinen Verdacht und traf sogar einmal Kürten im Frühjahr im Hofgarten. Die Frau Hofers fürchtete sich vor Kürten und dessen Blicken und deswegen gab es keine weiteren Kontakte. Erst die Nachricht, dass die Ermordete in Papendell aus dem Zoo-Viertel stammte, ließ ihn Kürten verdächtigen. Er meldete seinen Verdacht unter Angebe der Äußerungen Kürtens der Polizei.[1]
Der Hinweis Wilhelm Hofers blieb bei der Polizei nicht unbearbeitet. Das erstaunliche ist, dass es der einzige Hinweis unter den tausenden eingegangen war, der Peter Kürten verdächtigte. Man zog nach der Aussage des Zellengenossen Erkundigungen über jenen Peter Kürten ein, „wobei ihm von den verschiedensten Stellen ein geradezu glänzendes Zeugnis ausgestellt wurde“, so Ernst Gennat. Auch in der Nachbarschaft und auf der Arbeitsstelle ließen sich keine Hinweise auf eine Täterschaft feststellen. Einige Fotos des Verdächtigen wurden Gertrud Schulte vorgelegt, doch sie erkannte ihn nicht. Peter Kürten wurde als Verdächtiger ausgeschlossen.[2] In den nächsten Wochen geschahen dann aber keine Morde mehr…
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[1] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.73-76.
[2] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.205f..
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Ermittlungen (8): Das Antlitz des Täters

Eines der fundamentalsten Mittel der Kriminalpolizei zur Ergreifung eines jeden Täters ist die Personenbeschreibung. Doch obwohl Peter Kürten nicht nur ein brutaler Mörder, sondern oft genug auch „nur“ ein brutaler Schläger war, führte dieses Mittel nicht zum Erfolg, was einerseits daran lag, das Kürten keine herausragenden körperliche Kennzeichen besaß, aber anderseits auch daran, dass sich die Zeugenaussagen widersprachen. Am genauesten und ausführlichsten schätzte die Polizei die Beobachtungen von Gertrud Schulte ein, da sie sehr lange mit Kürten zusammen war. Sie beschrieb ihn laut Ernst Gennats Angaben in den Kriminalistischen Monatsheften so:

„Alter: 34 Jahre (nach eigenen Angaben der Schulte gegenüber);
Stand: Anscheinend Arbeiter (früher angeblich bei der Post auf Paketausgabe beschäftigt gewesen);
Größe: Etwa 1,70m;
Gestalt: Schlank, kräftig;
Haar: Mittelblond;
Bart: Glatt rasiert;
Gesicht: blaß, länglich;
Stirn: hoch;
Augen: blau oder grau – nicht dunkel;
Nase: Schmal, spitz etwas nach aufwärts gebogen;
Zähne: Im Oberkiefer vollständig, im Unterkiefer fehlen – bis auf geringe Stümpfe – die beiden rechten Schneidezähne oder der zweite Schneidezahn und der daneben stehende Eckzahn;
Hände: Saubere Arbeiterhände
Sprache: Hochdeutsch, lispelt etwas, da die Zunge in die bezeichnete Zahnlücke kommt
Besondere Kennzeichen: Hält den Kopf meist etwas nach rechts schief
Bekleidung: Mittelgrauer Anzug mit dickeren Streifen; lange Hose – Schlips und Kragen – grauer Filzhut mit grauem Band – schwarze Schnürschuhe.“[1]

Im Fall Maria Hahn berichteten zwei Zeugen, die das Opfer im Ausflugslokal Stindermühle mit Kürten gesehen hatten, widersprüchliches über das Aussehen des Mannes. Eine Zeugin berichtete, dass er ca. 28 -30 Jahre alt sei, von kräftiger Gestalt war und dass er einen hellen Anzug und eine Hornbrille mit heller Einfassung trug. Die andere Zeugin (die „etwas phantastisch“ veranlagt war, so das Urteil der Polizei), berichtete von einem Mann im Alter vom 30 – 35 mit schwarzen Haaren und einem Englisch gestutzten Schnurrbart, einem ovalen Gesicht und stechenden Augen sowie einem dunklen Anzug. Übereinstimmend erklärten beide, der Mann hätte den Eindruck gemacht den höheren Ständen anzugehören.
Nach den Lierenfelder Überfällen berichtete Anna Goldhausen, dass der Täter 28 -33 Jahre alt war und einen hellen, grauen oder braunen Anzug getragen habe. Heinrich Kornblum erklärte, der Täter sei 22 -24 Jahre alt, 1,65 m groß und lispele. Das Gesicht sei rund gewesen und er habe eine graue Sportmütze und einen braunen Anzug getragen.
Hubertine Meurer beschrieb den Täter als etwa 30 Jahre alt, mittelgroß und ziemlich kräftig und bartlos. Er machte den Eindruck eines besseren Arbeiters und trug einen dunklen Schlapphut, einen dunkelbraunen oder dunkelgrünen Anzug, wahrscheinlich mit steifem Kragen und Schlips. Ernst Gennat vermerkt dazu: „Die Beschreibung ist mit besonderer Vorsicht aufzunehmen Frau M. hat schon einmal ein nicht in Betracht kommende Person als Täter ‚rekognosziert‘.“[2]
Im Fall Gertrud Albermann beobachtete die Nachbarin den Mann, der mit dem Kind wegging. Er machte auf sie den Eindruck eines besseren Angestellten, das Alter vermochte sie nicht zu bestimmen. Er trug einen dunklen Mantel mit Gürtel und einen ziemlich großen, breitrandigen Filzhut mit Schnitt. Zwei weitere Zeugen meinten nachträglich am Abend des Verschwindens die kleine Gertrud Albermann und einen Mann gesehen zu haben. Sie berichteten, dass der Mann 40-45 Jahre alt gewesen sei, einen schwarzen, herunterhängenden Schnurrbart gehabt habe, der möglicherweise angeklebt gewesen sei. Außerdem habe der Mann ein schmales eingefallenes Gesicht und eine einfache Metallbrille getragen.
Die kritische Beurteilung der Düsseldorfer und Berliner Kriminalisten um Ernst Gennat führte zu dem Schluß, dass kaum eine Personenbeschreibung der Zeugen geeignet war, daraus ein richtiges „Signalement“ zu erstellen. Man kam dem Täter nicht auf die Spur.[3]
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[1] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.34.
[2] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.37.
[3] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.34-39.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Ermittlungen (7): Der Tatort in Papendell

Nach dem Auftauchen der Mörderbriefe und vor allem nach der Verifizierung des Düsseldorfer Mörders als Absender, waren die Düsseldorfer Kriminalisten überzeugt, dass ein weiteres Opfer in der Gegend des Gutes Papendell vergraben wurde. Am 12.November fanden deshalb Nachgrabungen statt. Da die Landjäger im Oktober nicht fündig geworden waren, wurde die Suchaktion ausgeweitet und zahlreiche Erwerbslose wurde eingesetzt. Man fand aber erneut kein Grab, dafür wurde ein Landwirt ermittelt, der Mitte August auf dem nahen Feld einen roten Damenstrohhut, eine Handtasche und vier Schlüssel gefunden hatte. Der Hut war beim Pflügen zerstört worden, die beiden anderen Gegenstände wurden sichergestellt. Man fand heraus, dass die seit dem 11.August 1929 vermißte Maria Hahn vermutlich die Besitzerin der Fundstücke war.
Am 15.November 1929 setzte man die Suche mit einer nochmals erhöhten Zahl an Mitarbeitern fort und am Nachmittag war man schließlich erfolgreich. In 1,30 Metern Tiefe wurde die Leiche der Maria Hahn gefunden und anhand einiger Gegenstände und Schmuck zweifelsfrei identifi- ziert. Ernst Gennat urteilte in den  Kriminalistischen Monatsheften: „Die Leiche der H. war im Ackerboden so tief eingebettet, daß sie auch beim Pflügen oder sonstiger Bodenbearbeitung niemals gefunden worden wäre.“
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[1] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.18f..
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Ermittlungen (6) | Die Presse (3): Post vom Mörder

Unmittelbar nach dem Mordfall Dörrier empfing die Polizei in Düsseldorf einen Brief, der am 13.Oktober 1929 aufgegeben worden war. Der Brief, adressiert an die „Polizeiverwaltung hier“[1], enthielt eine Zeichnung eines Tals in der Nähe des Gutes Pappendell auf der ein Kreuz eingezeichnet war. Der Brief war auf unbedrucktem Zeitungspapier mit einem blauen Stift verfasst worden, die Schrift (in Antiqua) bestand aus Druckbuchstaben:
„Mord bei Pappendelle[sic], an der angekreuzten Stelle, welche nicht mit Unkraut bewachsen ist und mit einem Stein bezeichnet ist, liegt die Leiche begraben, 1 1/2 m tief. Düsseldorfer Stadtanzeiger und Landsmann (Gennat) haben Kenntnis.“[2]
Die Düsseldorfer Kriminalisten, die dem letzten Satz keinen Sinn entnehmen konnten, leiteten den Brief mit der Skizze eines bisher unbekannten Tatorts an die zuständige Landjägerei des Nachbarkreises Düsseldorf-Mettmann (der Landkreis Düsseldorf war am 1.August 1929 aufgelöst worden) weiter. Die Landjäger durchsuchten den Bereich beim Gut Papendell, blieben aber erfolglos und sandten den Brief zurück.[3]
Der Brief wanderte, ohne dass man die Presse informiert hatte, zu den Akten, bis einen zweiter auftauchte, der an die Redaktion der Düsseldorfer Zeitung „Die Freiheit“ gerichtet war. Er war am 8.November aufgegeben worden und erreichte die Polizei, als diese gerade die Leiche der Gertrud Albermann gefunden hatte. Das Besondere an dem Brief war, dass auf ihm der Fundort an der Mauer Haniel & Lueg als zweiter Hinweis vermerkt war. Als noch niemand von Presse und Polizei den Tatort kannte, war der Brief verfasst worden, was nahe legte, dass der Brief wirklich vom Mörder stammte.
Die Skizze aus dem zweiten Brief von Kürten, abgedruckt in den Düsseldorf Nachrichten. [4]
Ernst Gennat stellt fest, dass diese Zeichnung wesentlich übersichtlicher gehalten war, der Weg war hinzugekommen und die Beschriftung war sorgfältiger ausgeführt worden.[5] Der Brief, der wieder mit Blaustift geschrieben worden war, bewies, dass der Mörder der Albermann auch für andere Fälle verantwortlich war und dass er sich mit seinen Taten brüsten wollte. Die Kriminalpolizei ordnete für die folgenden Tage neue Untersuchungen im Bereich Papendelle an und versuchte auch, den Schreiber der Briefe zu fassen, in dem man die Spur des Zeitungspapiers verfolgte. Das Zeitungspapier war bereits einmal durch die Rotationsmaschine einer Druckerpresse gelaufen und wies typische Abdrücke auf. Doch auch in diesem Fall blieben alle Ermittlungen erfolglos, weder konnte die Druckmaschine ermittelt werden, noch ein Altpapierhändler und Beschäftigter einer Druckerei, der das Papier verkauft hatte.[6]
In der Folge erhielt die Polizei sehr viele „Mörderbriefe“, sie wurde geradezu mit Hinweisen, Selbstbezichtigungen und Ankündigungen überschwemmt. Das Kriminal-Magazin stellte fest:
„Allerdings muß man vermuten, daß diejenigen recht haben, die meinen, daß im November 1929 der aktuellste Sport gewisser Stammtische in Düsseldorf die Herstellung von ‚Mörderbriefen‘ sei.“[7]
 Kürten selbst gab an, dass er noch zwei weitere Briefe geschrieben habe. Den ersten, der ebenfalls eine Skizze von Papendell enthielt, warf er im Oktober in den Briefkasten am Pressehaus des Düsseldorfer Stadt-Anzeiger, er blieb jedoch verschwunden. Brief zwei und drei sind die beiden, von denen die Polizei Kenntnis erhielt, Brief vier sandte er irgendwann an die Niederrheinische Arbeits- zeitung in Duisburg. In ihm kündigte er an, dass weitere Leichen vergraben seien und das bürgerliche Zeitungen benachrichtigt seien, was aber gelogen war.[8]
Kürten antwortete auf die Frage, warum er die Briefe schrieb:
„In der Absicht, in der Bevölkerung, hauptsächlich von Düsseldorf, sowie bei der Polizei und dann nicht zuletzt bei den Stellen, die ich mir immer als meine Peiniger vorgestellt hab, Aufregung und Empörung hervorzurufen.“
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[1] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.16..
[2] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.15f..
[3] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.32.
[4] Wie sich das Netz um den Düsseldorfer Mörder zog, in: Düsseldorfer Nachrichten, 26.Mai 1930, Morgen-Ausgabe, Nr.265.
[5] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.17.
[6] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.32f.
[7] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.34.
[8] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.146f.
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Ermittlungen (5): Ernst Gennat und die Mordkommission

Nach dem Mord an Ida Reuter forderte die Düsseldorfer Polizei Hilfe aus Berlin an. Bereits in einem früherem Stadium der Mordserie waren Berliner Ermittler vor Ort, nun erschien mit Ernst Gennat ein gewichtiger und anerkannter Kriminalist in Berlin. „Der volle Ernst“ oder „Buddha“ wurde er aufgrund seiner Leibesfülle genannt und schon zu Lebzeiten war er ein Berliner Original und eine Legende unter den Kriminalisten.
Ernst Gennat wurde am 1.Januar 1880 in Plötzensee geboren, sein Vater war Oberinspektor im dortigen Gefängnis. 1904 kam er nach einem abgebrochenen Jura-Studium zur Berliner Kriminalpolizei. Die Polizei war damals noch sehr militärisch geprägt, Uniformen dominierten das Bild und der Wert der kriminalistischen Ausbildung war gering. Es kam vor, dass die Polizisten am Tatort eines Kapitalverbrechens erst einmal aufräumten und die Leiche „schicklich“ positionierten und ihr die Augen schlossen, bevor sie die Kriminalpolizei informierte. 1926 wurde er Leiter der von ihm reformierten Berliner Mordinspektion[4] und damit Vorbild für andere Polizisten in der Weimarer Republik. Er führte die sogenannte „Mörderkartei“ ein, in der die Akten verschiedener Mordfälle gesammelt wurden und mit deren Hilfe Verbindungen gezogen werden konnten. Eine weitere „Erfindung“ Gennats war das „Mordauto“. Dieses Spezialfahrzeug enthielt alle nötigen Ausrüstungs- gegenstände zur Spurensicherung, eine Kamera und eine Schreibmaschine samt „Schreibdame“. Im Jahr 1926 wurden auch erstmals Polizistinnen in die Kriminalpolizei aufgenommen. Gennats Mordinspektion klärte im Jahr 1931 von 114 Tötungsdelikten 108 auf – eine beachtliche Aufklärungsquote von 94%. An den Ermittlungen und Aufklärungen der Serienmörder Karl Großmann und Fritz Haarmann war er federführend beteiligt.[1], [2], [3]
Nachdem Eintreffen Gennats in Düsseldorf wurde die Mordkommission anscheinend umstrukturiert. Jeder der zeitweilig 50 Beamten erhielt einen eigenen Aufgabenkreis, Gennat nennt als Beispiele „Geisteskranke – frühere Sittlichkeitsverbrechen – Schriftvergleichung – ähnliche Verbrechen …  usw.“[5] Auch der Bereich der Pressearbeit wurde einem einzelnen Beamten zugeteilt. Regelmäßige Besprechungen aller Kriminalisten sollten gewährleisten, dass trotz der Aufgabenteilung immer der aktuelle Stand der Ermittlungen bekannt war. Auch die Staatsanwaltschaft stellte sich um und ernannte einen Sonderdezernenten, der engstens mit der Kriminalpolizei zusammenarbeitete.
Außerdem führte Gennat eine Zentral-Registratur ein, die sich vermutlich an der Berliner Mordkartei orientierte. Sie berücksichtigte die „Notwendigkeit einer einheitliche Bearbeitung sämtlicher Spuren“ und verzeichnete auf einzelnen Karteikarten den „Namen des Anzeigenden, des Verdächtigen, gegebenenfalls ein Stichwort über den Tatbestand und das Aktenzeichen.“ Die einzelnen Akten wurden in „Hauptakten“ und „Nebenakten“ gegliedert. Erstere enthielten nur das „wirklich wichtige Material“, letztere „Nebenspuren“ über einen Schlußbericht in der Hauptakte sollte sichergestellt werden, dass alle Aspekte eines Falls übersichtlich dargestellt wurden.[6]
Es dauerte nicht lange, bis nach dem Mord an Ida Reuter die verstärkte Mordkommission einen weiteren Fall des Düsseldorfer Serienmörders aufzudecken hatte.
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Die Presse (2): Die Presse und die Kriminalpolizei

Ernst Gennat, Leiter der Berliner Mordinspektion, der ab Ende September 1929 die Düsseldorfer Kriminalpolizei unterstützte, schilderte 1930 in den „Kriminalistischen Monatsheften“ die Erkenntnisse zu den „Düsseldorfer Sexualverbrechen“ und auch seine Erfahrungen mit der Presse. Diese reichen von „[…] die Presse in ihren Auswüchsen – die Presse als wertvolle Helferin des Kriminalisten.“[1]
Die Mehrheit der Presse, so Gennat wurde erst mit den letzten Fällen im November 1929 auf die Düsseldorfer Mordserie aufmerksam. In dieser Phase waren 30 bis 40 Journalisten und Fotografen in Düsseldorf, unter anderem auch Vertreter der englischen, holländischen, dänischen, schwedischen, französischen, tschechoslowakischen, (u.a) Presse. Aus dem ferneren Ausland kamen „ununterbrochen“ telefonische Anfragen, die nach der nächsten Sensation, der nächsten Nachricht fragten und wissen wollten „ob schon wieder ein neuer Kindermord zu verzeichnen oder mit einem solchen zu rechnen sei.“[2]
Gennat bezeichnet es als Aufgabe der Kriminalpolizei, die Presse angemessen mit Material zu unterstützen, um eine sachliche Berichterstattung zu ermöglichen. Kriminalist und Journalist müssten die gegenseitigen Bedürfnisse verstehen und sich gegenseitig unterstützen, gerade in diesem Fall, wo die Kriminalpolizei auf die Unterstützung und Mitwirkung der Bevölkerung angewiesen sei, da die kriminalistischen Methoden erfolglos blieben. Die Presse war also sowohl Mitarbeiter als auch Gefahr für die Kriminalpolizei.[3]
In seinem Bericht in der gleichen Zeitschrift zum Prozeß gegen Peter Kürten griff Ernst Gennat das Thema Kriminalpolizei und Presse noch einmal auf und urteilt im Rückblick:
„Es ist ohne weiteres zuzugeben, daß die Veröffentlichungen in der Presse in erheblichem Umfange wertvolles Material zu Tage gefördert haben. Diese Feststellung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die kriminalistische Bearbeitung jener Sexualverbechen durch die Presse auch erheblich gestört und beeinträchtigt worden ist.“[4]
Vor allem, so Gennat, müsse künftig vermieden werden, dass aus solchen Fällen Sensationen gemacht werden, die anschließend die Bevölkerung verunsichern und eine Psychose auslösen, die die Kriminalpolizei noch mehr an der Arbeit behindert. Vor alle sollen keinerlei Tatbestände und schon gar nicht Details an die Presse gegeben werden, sie müssten unbedingt Geheimnisse der Ermittler werden, um unter anderem Geständnisse und Selbstbezichtigungen richtig analysieren zu können. Außerdem verhindere eine unsachliche, sensationsgierige Berichterstattung, dass mögliche Zeugen die Polizei aufsuchten, wenn die Gefahr bestünde, dass sie nachher in der Presse bloßgestellt würden.
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[1] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.58.
[2] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.58.
[3] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.58ff..
[4] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.211.
[5] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.211.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.