Archiv der Kategorie: Peter Kürten

Ermittlungen (11): Komissar Zufall hilft

Es ist verwunderlich, wie oft die Frauen, die Peter Kürten würgte, teilweise zum Geschlechtsverkehr nötigte oder verletzte, sich danach nicht an die Polizei wandten, was weder für die Moral der Frauen als auch für den Ruf der Polizei spricht. Alle im Jahr 1930 geschehenen Taten waren der Polizei nicht bekannt. Schließlich war es „Kommissar Zufall“, dessen Ermittlungen die Kriminalisten in Düsseldorf (die Berliner Kollegen waren längst in die Hauptstadt zurückgekehrt) weiter brachten. Nachdem am 14.Mai  1930 Maria Budlies zum Opfer Peter Kürtens geworden war, schrieb sie an ihre neue Bekannte, „Frau Brückner“ in der Bilker Allee, und äußerte in dem Brief den Verdacht, dass sie einem Mörder in die Hände gefallen sein könnte. Der Brief wurde jedoch nicht an die ominöse Frau Brückner zugestellt, sondern an eine Frau Brügmann, die in der genannten Straße wohnte. Diese öffnete den fehlerhaft adressierten Brief und wandte sich dann an die Polizei.[1]
Die Kriminalisten ermittelten Maria Budlies und mit ihrer Hilfe gelang es am 21.Mai die Wohnung der Kürtens in der Mettmanner Straße 71 zu identifizieren. Klugerweise hatte Maria Budlies gegenüber Kürten verneint, dass sie seine Wohnung wieder finden könne, weswegen er sie laufen gelassen hatte.[2] Die Beamten erschienen mit Maria Budlies an der Adresse und wurde dabei von Peter Kürten beobachtet. Am Nachmittag, so stellt es Kürten dar, kam Budlies noch einmal allein und ging in eine der Nachbarwohnungen, wobei sie ihn sah und erschrak. Kürten zog die richtigen Schlüsse und suchte am Abend seine Frau im Café Hemesath auf und informierte sie, dass er gesucht werde, weil ein „Beischlafversuch“ als Notzucht ausgelegt werden könnte. Aufgrund seiner Vorstrafen müsse er verschwinden. Kürten mietete sich daraufhin ein Zimmer in einem Haus in der Adlerstraße 53 [3]. [4]
Am nächsten Morgen wurde Auguste Kürten kurz nach ihrem Dienstantritt im Café Hemesath von Kriminalbeamten aufgesucht und man bat sie, die Wohnungsschlüssel zu übergeben oder sie zur Wohnung zu begleiten. Auguste Kürten sagte aus, dass sie ziemlich erschrocken über das Erscheinen der Beamten gewesen sei und schließlich erst auf Raten der Hausdame des Cafés mit den Beamten mitgegangen sei. Die Beamten führten eine ergebnislose Hausdurchsuchung durch und informierten Auguste Kürten, dass ihr Mann wegen der Vergewaltigung von Maria Budlies gesucht werde. Nach der Durchsuchung gingen die Beamten und hinterließen bei Auguste Kürten die Vorladung für ihren Mann, mit der Aufforderung sich bei der Kriminalpolizei zu melden.[5] Nachdem die Beamten die Wohnungen verlassen hatten, erschien Kürten, der die Kriminalbeamten beim Verlassen der Wohnung beobachtetet hatte.[6] Kürten leugnete seiner Frau gegenüber erst etwas getan zu haben, dann sagte er laut ihrer Aussage: „Ja, ja ich habe es getan, ich habe alles getan.“[7] Nach diesen Worten verließ er die Wohnung. Als seine Frau zurück zu ihrer Arbeitsstelle ging, traf sie ihn in der Nähe noch einmal und er bat um ein Treffen um 11:30 Uhr in der Seufzer-Allee im Hofgarten.[8]
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[1] Karl Berg: Der Sadist, S.105.
[2] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.196.
[3] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.43.
[4] Karl Berg: Der Sadist, S.105.
[5] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.96.
[6] Karl Berg: Der Sadist, S.106.
[7] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.97. Siehe auch: Karl Berg, Der Sadist, S.107.
[8] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.97.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Ehe (3): Die Frau des Serienmörders

„[…]Wenn ich wüßte, wer der Täter wäre, würde ich hingehen und mir die auf ihn gesetzte Belohnung verdienen. Dann braucht eich nicht mehr zu Hemesath zu gehen und arbeiten. Er hat sich aber darauf nichts anmerken lassen.“[1]

 Diese Worte sprach Auguste Kürten irgendwann im Jahr 1929 zu ihrem Mann, so ihre Aussage am 5.7.1930. Das wirft die Frage auf, warum sie nicht gemerkt hat, dass ihr Mann der Vampir von Düsseldorf ist. Drei Punkte scheinen zur Beantwortung dieser Frage wesentlich: Die Arbeitszeiten von Auguste Kürten, die Unabhängigkeit Peter Kürtens innerhalb der Ehe und sein gewöhnliches Auftreten, das auch die Nachbarschaft, seine Kollegen und die ersten Ermittlungen der Polizei überzeugen vermochte.
Von 1928 bis April 1929 war Auguste Kürten in einer Fischbräterei beschäftigt, ab Mitte August arbeitete sie beim Café Hemesath in der Graf-Adolf-Straße (Nr. 14) in der Nähe des Graf-Adolf-Platzes, in dem sie auch oft bis spät Abends und am Wochenende arbeiten musste. Was ihr Mann in der Zeit tat, konnte sie nicht verfolgen.[2][3]
Anfang August, als in Lierenfeld Schützenfest war, kam Peter Kürten einmal erst frühmorgens nach Hause und hatte nasse Strümpfe und schmutzige Schuhe an, dazu trug einen seinen Werktagsanzug. Er war allerdings schon gegen 24 Uhr „in fröhlicher Stimmung“ zurückgekehrt, um dann wieder loszuziehen. An Manschette und Jacket erkannte Auguste Kürten Blut und fragte ihn danach. Er gab an, dass es Nasenblut sei. Auf ihre Frage, ob er mit einem Mädchen zusammen gewesen sei, antwortete er mit Nein.[4] (Die Angaben erinnern an den Mord an Maria Hahn)
Einmal bemerkte Auguste Kürten, dass sie Angst vor dem Düsseldorfer Mörder hätte, worauf Peter ihr anbot, sie von der Arbeit abzuholen und wünschte, dass man den Täter bald fassen könnte. In den Jahren in Düsseldorf habe ihr Mann „viel außerehelichen Verkehr“ gehabt, was Auguste Kürten ertrug, da sie glaubte die Ehe mit Kürten sei ein Strafe für ihre Sünden.[5] Vermutlich war das für sie auch die Erklärung für andere Spuren und sein häufiges Fernbleiben. Für sie war er ein notorische Fremdgeher, aber kein Mörder:
„Daran, daß er Morde verübt hätte, habe ich zunächst nicht gedacht. Dazu hatte ich auch keinen Grund, weil ich ja die mehreren Mädchen, mit denen er verkehrt hatte, soweit sie mir bekannt waren,  lebend wußte. Ich habe niemals, hier in Düsseldorf sowenig wie in Altenburg, irgend etwas an meinem Manne bemerkt, das auf einem Mord hingedeutet hätte.“[6]
Nimmt man die Reaktion Auguste Kürtens nach dem Geständnis Peter Kürtens als Maßstab für ihre Redlichkeit, so scheint ihre Aussage zuzutreffen. Es mag schwer zu glauben zu sein, aber Kürten war auch gegenüber seiner Ehefrau unauffällig.
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[1] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.95.
[2] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.46f..
[3] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.92.
[4] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.46.
[5] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.92f..
[6] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.94.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Ermittlungen (9): Kürten im Fokus

Nach dem Mord an Gertrud Albermann und dem Auffinden der Leiche von Maria Hahn meldete sich ein gewisser Wilhelm Hofer bei der Kriminalpolizei und verdächtigte den damals völlig unbekannten Peter Kürten der Tat. Er gab an, mit Peter Kürten 1928 einige Zeit in Untersuchungshaft in Düsseldorf-Derendorf gesessen zu haben. Die beiden waren Zellengenossen und waren „als Hausknechte“ im Gefängnis beschäftigt. Kürten vertraute Hofer und erzählte ihm von vergangenen „Liebesabenteuern“ und auch von einer der Haft vorangegangenen Bekannschaft eines Mädchens aus dem Zoo-Viertel. Er phantasierte auch von sexuellen Handlungen (u.a. von Bissen und von fließendem Blut), die Hofer als pervers bezeichnete. Eine Angewohnheit Kürtens in der Haft sei gewesen, jemandem, der ihm entgegen kam, plötzlich nach dem Geschlechtsteil zu greifen, was er auch bei seinem Zellengenossen tat.
Angeblich bekam Kürten in der Haft einmal einen Brief, in dem ihm angeboten wurde, dass ihm ein Teil der Haft entlassen würde, wenn er verspräche das Stadtgebiet zu verlassen. Darüber soll er sehr erbost gewesen sein und sprach von Rache an einem Staatsanwaltschaftsrat Jansen.
Während des Jahres 1929 und der Mordserie schöpfte Wilhelm Hofer zuerst keinen Verdacht und traf sogar einmal Kürten im Frühjahr im Hofgarten. Die Frau Hofers fürchtete sich vor Kürten und dessen Blicken und deswegen gab es keine weiteren Kontakte. Erst die Nachricht, dass die Ermordete in Papendell aus dem Zoo-Viertel stammte, ließ ihn Kürten verdächtigen. Er meldete seinen Verdacht unter Angebe der Äußerungen Kürtens der Polizei.[1]
Der Hinweis Wilhelm Hofers blieb bei der Polizei nicht unbearbeitet. Das erstaunliche ist, dass es der einzige Hinweis unter den tausenden eingegangen war, der Peter Kürten verdächtigte. Man zog nach der Aussage des Zellengenossen Erkundigungen über jenen Peter Kürten ein, „wobei ihm von den verschiedensten Stellen ein geradezu glänzendes Zeugnis ausgestellt wurde“, so Ernst Gennat. Auch in der Nachbarschaft und auf der Arbeitsstelle ließen sich keine Hinweise auf eine Täterschaft feststellen. Einige Fotos des Verdächtigen wurden Gertrud Schulte vorgelegt, doch sie erkannte ihn nicht. Peter Kürten wurde als Verdächtiger ausgeschlossen.[2] In den nächsten Wochen geschahen dann aber keine Morde mehr…
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[1] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.73-76.
[2] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.205f..
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Die Akte (14): Gertrud Albermann (7.November 1929)

Am 7.November 1929 verschwand gegen Abend die 5jährige Gertrud Albermann. Das Mädchen, das wegen einer Erkrankung des Vaters, der im westfälischen Warendorf lebte, abwechselnd bei Verwandten in Derendorf und Grafenberg lebte, spielte an jenem Tag vor dem Geschäft der Pflegeeltern in der Ackerstraße. Eine Nachbarin beobachtete, wie das Mädchen mit einem Mann, die Frau schätzte ihn später auf ca. 25 Jahre, fortging. Da das Mädchen ihr unbekümmert zuwinkte, schöpfte die Frau keinen Verdacht. Gegen 18.45 Uhr wurde das Kind das letzte Mal gesehen. Am selben Abend wurde Vermißtenmeldung erstattet und die Kriminalpolizei informiert, die daraufhin das gesamte Gebiet durchstreifen ließ.[1] Am folgenden Samstag, den 9.November, fand eine Streife der Kriminalpolizei die Leiche der „bestialisch ermordeten Gertrud Albermann an der Mauer der Firma Haniel & Lueg„.[2]

Der Befund der Gerichtsmedizin zählte 34 Messerstiche auf dem kleinen Körper, dazu erhebliche Verletzungen der Geschlechtsteile, wo man auch Ejakulat sicherstellte. Ebenfalls fand man Würgemale am Hals.[3]
Kürten gab im Gespräch mit Prof. Sioli an, dass das kleine Mädchen ohne Widerstand mit ihm mitgegangen sei, er habe ihr nicht einmal etwas versprochen. An der „Hanielmauer“ würgte er sie, bis das Kind bewusstlos wurde. Dann versuchte er es zu vergewaltigen, was aber nicht gelang. Daraufhin stach er mit einer Schere zu, konnte sich aber nicht erinnern wie oft. Dabei kam es dann zum gewünschten Samenerguß. Anschließend begab sich Kürten nach Hause.[4] Kürten erzählte gegenüber Prof. Sioli auch, wie er sich nach dem Mord an dem kleinen Mädchen fühlte:

„Ich meinte bedeutend leichter geworden zu sein, vom Körpergewicht 50 Pfund abgenommen zu haben; ich habe fernerhin frei atmen können und auch keine Beschwerden auf der Brust und auf dem Kopfe und im Kopfe mehr gespürt, sondern mich frei und wirklich wohl dabei gefunden und habe mir lebhaft ausgemalt, wie das, was mich vorher körperlich bedrückt hat, jetzt auf die übergehen würde, die da mit daran schuldig waren […]“[5]

Der Mord an der kleinen Gertrud Albermann zeigte die Ohnmacht der Stadt und ihrer Polizei auf. Im preußischen Innenministerium fand eine Konferenz statt, die beschloß einen weiteren Kommissar namens Busdorf nach Düsseldorf zu schicken. Einen neuen und vorläufigen Höhepunkt erreichte die Hysterie in der Stadt, als bekannt wurde, dass der Mörder einen Brief an die Polizei und an die „Freiheit“ geschrieben hatte, in denen er von einem Mord bei Papendell sprach und auch den Tatort im Fall Albermann erwähnte. Der Brief war am 8.November aufgegeben worden, bevor die Polizei die Leiche gefunden hatte.
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[1] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.23.
[2] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.23.
[3] Karl Berg: Der Sadist, S. 96ff.
[4] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.139.
[5] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.140.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Faszination Serienmörder (2): Fünf Fragen an Thomas Richhardt

Thomas Richhardt, 1971 in Neuss geboren, studierte in Düsseldorf und Bochum Diplom-Psychologie. Seit 1998 schreibt er Theaterstücke und arbeitete zunächst in dem von ihm gegründeten „Theater ungehindert“ mit professionellen und geistig-behinderten Schauspielern zusammen. Von 2000-2003 war er Dramaturg beim Kinder- und Jugendtheater der Städtische Bühnen Münster, anschließend war er bis 2006 beim Jungen Ensemble Stuttgart, wo im Januar 2006 sein Stück „Bonnie und Clyde – ein Stück für drei Schauspieler und einen Fluchtwagen“ uraufgeführt wurde. Thomas Richhardt ist seit Oktober 2006 freier Autor und Dozent des Literaturhauses Stuttgart, wo er auch lebt. Im Juli 2011 erscheint sein Handbuch „Szenisches Schreiben im Deutschunterricht“ für Lehrer und Pädagogen im Verlag Klett-Kallmeyer.
Im „Düsseldorfer Sommer“ 2000 wurde sein Stück „Schlachtfest oder Wie ich ein brauchbares Opfer werde“ im Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt. (Eine Inhalts- angabe, Pressestimmen und  eine „Leseprobe“ findet sich auf Thomas Richhardts Homepage: Dramawerkstatt.de) Auch er war so freundlich mir fünf Fragen zur Faszination des Serienmörders – und seiner Ehe – zu beantworten:
1. Herr Richhardt, worum geht es in Ihrem Stück „Schlachtfest – Oder wie ich ein brauchbares Opfer werde?“
„Schlachtfest“ ist ein Erstling für eine städtische Bühne gewesen. In einem Erstling eines Autors geht es natürlich grundsätzlich erst mal um Alles. Es geht um das Verhältnis von Peter Kürten zu seiner Frau Auguste. Es geht darum, wie viel ein Mensch in einer Liebesbeziehung ignorieren kann, es geht um das Schweigen, es geht um ein Verlangen, das sich jenseits der Vernunft abspielt, es geht um Macht, um Rausch, um Größenwahn. Ganz konkret handelt das Stück von einem Paar, das sich in einer ganz normalen Wohnung befindet und eine Lebensabrechnung verhandelt – in der Nacht vor der Verhaftung des Ehemanns.
2. Welche Reaktionen haben Sie auf Ihr Theaterstück bekommen?
Die Verlage, denen ich damals das Stück zugesendet habe, waren durchweg interessiert und die Lektoren schrieben mir – ungewöhnlich bei Ablehnungen – sogar ein paar ausführliche Rückmeldungen. „Dieses Schlachtfest findet weniger in der Realität statt, als vielmehr in einem Vorstellungsraum, einer Sehnsucht- und Angstwohnung.“ Auf der Bühne des Düsseldorfer Schauspielhaus hatte ich dann im Juli 2000 das Glück, meine Wunschbesetzung zu sehen: Irene Christ als Auguste und Hans-Werner Leupelt als Peter Kürten. Unglücklich war es hingegen, dass sich die formale Sprache des Stücks und die sehr formale Inszenierung von Frank Hörner dann gedoppelt haben. Die aufgeladene Beziehungsatmosphäre hat sich nicht so sehr ins Publikum übertragen, wie das möglich gewesen wäre. Und so fallen natürlich auch die handwerklichen Mängel eines Erstlings mehr ins Gewicht.
3. Welches Bild haben Sie von Auguste Kürten?
Ich kann mich an ein Foto aus dem Düsseldorfer Archiv erinnern, das mich merkwürdig berührt hat. Das dürfte vor ihrer Heirat mit Kürten gewesen sein: Eine blonde Frau, die ein offenes, attraktives Gesicht hat. Sie steht in da in einem Bäuerinnenkittel, der sie wahrscheinlich fülliger wirken lässt, als dies sein müsste. Sehr erdig. Aber in dem Blick, den sie wie zufällig in die Kamera richtet, liegt – ja, Verachtung. So habe ich das empfunden. Und dann habe ich mich eingehender mit dieser Frau beschäftigt. „Schlachtfest“ ist vielmehr ein Stück über Auguste als über Peter Kürten. Ich kann die obige Frage also nicht in Kürze beantworten – ich habe immerhin ein ganzes Stück gebraucht, um zu merken, dass ich sie letztendlich nicht beantworten kann.
4. Serienmörder sind eigentlich immer Männer. Warum eigentlich?
Es gibt da – glaube ich – irgendeine Theorie zu, die etwas mit dem Aggressionsverhalten von Männern zu tun hat. Aber das interessiert mich eigentlich nicht. Ich glaube, Frauen morden einfach anders. Oder sie werden nicht geschnappt.
5. Wieso übt der Serienmörder Peter Kürten 80 Jahre nach seiner Hinrichtung immer noch eine Faszination auf uns aus?
Nein, K. selbst übt keine Faszination mehr aus. Es ist das Monströse der Taten, das Unbegreifliche seiner Beziehungen, die Unfassbarkeit, warum er so lange unentdeckt geblieben ist, sein ewiges Nasenbluten, wenn er nach Hause zu seiner Frau kam – das übt immer noch Faszination aus.
Herr Richhardts, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, die Fragen zu beantworten.

Herkunft (2): Der Weg zum Straftäter

1899 beging Peter Kürten seine erste Straftat, einen Diebstahl. Ihm sollten noch 78 weitere Straftaten und drei Entlassungen aus Gefängnissen folgen, bis er 1930 gefasst, verurteilt und hingerichtet wurde. Vor Gericht verhandelt wurde 9 Morde, 32 Mordversuche, 3 Überfälle, ein Fall von Notzucht und 27 Brandstiftungen. [1]
Eine Chronologie:
  • 1899 Diebstahl von Lohngeldern, zwei Monate Haft in Düsseldorf-Derendorf
  • 1900 Hausfriedensbruch, sieben Tage Haft
  • 1900 Zechprellerei, eine Woche Haft
  • 1900 Einbruchsdiebstahl, sechs Monate Haft
  • 1900 Diebstahl, sechs Wochen Haft
  • 1901 Diebstahl von zwei Fahrrädern, zwei Jahre Haft im Gefängnis Ulmer Höhe, Entlassung Januar 1903
  • Anfang April 1903 Gewalttätigkeit, ein Jahr und drei Wochen Haft
  • Ende 1904 Verhaftung wegen Fahnenflucht (war 1903 zum Militärdienst nach Metz eingezogen worden)
  • 1905 Kriegsgericht verurteilt Kürten zu 7 Jahren Haft, die er erst in Metz und dann in Münster verbüßt.
  • 1912 Revolverschießerei, sechs Monate Haft in Derendorf, Anrath und Lingen
  • 1913 Mord an Christine Klein, ungesühnt
  • 1913 wiederholter Diebstahl, sechs Jahre Haft, zusätzlich zwei Jahre wegen Gefängnismeuterei. Haft verbüßt in Siegburg, Rheinbach und Brieg.
  • 1921 – 1925 Entlassung, zieht nach Altenburg und arbeitet in Eisengießerei. Keine Straftaten Rückkehr nach Düsseldorf im Mai 1925.
  • 1926 mehrere Verfahren, Untersuchungshaft
  • 1926 Urkundenfälschung, fünf Monate Haft
  • 1927 Heiratsschwindel, zwei Monate Haft
  • 1928 Überfälle und Brandstiftungen, acht Monate Haft [2]
Schon früh machte er Bekanntschaft mit Sadismus, Tierquälerei und Grausamkeit, unter anderem bei eine Hundefänger, der in (Köln-)Mülheim im gleichen Haus wohnte und die Tiere quälte. Im Alter von 13 Jahren versuchte er nach eigenen Angaben zum ersten Mal mit einem Schaf Geschlechtsverkehr und tötete es, als er nicht erfolgreich war. Als er nach dem ersten Diebstahl auf der Flucht war, verkehrte er erstmal mit einem Mädchen.[2a]
Während der Zeit des Strafvollzugs, den er mit 16 Jahren zum ersten Mal kennen lernte, litt Kürten nach eigener Aussage im Gespräch mit Prof. Sioli  unter der Schwere und der Grausamkeit des „preußischen Systems“. Er erklärte, dass dies auch sein Motiv für die Mordserie ab 1929 sei, was aber zweifelhaft ist, da unter seinen Opfern keine Justizangehörigen sind.[3] Schon in diesen Jahren im Gefängnis flüchtete er sich, als er in Einzelhaft saß, in Vergewaltigungs- und Tötungsphantasien um die Realität zu vergessen. Kürten gibt an, dass er wie ein wildes Tier Gutsherren und deren Töchtern bei Gefängnisbesichtigungen vorgeführt wurde, als er gefesselt war.[4]
In den letzten Kriegsjahren saß Kürten in Brieg bei Breslau unter menschenunwürdigen Zuständen in Haft, wenn seine Aussagen zutreffen. So war die Versorgung der Insassen, unter denen auch viele russische Kriegsgefangene waren, äußerst karg. Die Hungerwinter 1917 und 1918 trafen die Strafgefangenen mit besonderer Härte, viele starben.[5] Nach seiner Verurteilung erklärt er in der Haft, dass er die Hinrichtung begrüßt, da ihm so eine weitere Zeit in der Haft erspart bliebe.[6]
Nach der Entlassung lebte Kürten vier Jahre ohne in Konflikt mit dem Gesetz zu kommen in Altenburg, wo er Auguste heiratete. Als er 1925 nach Düsseldorf zurückkehrt, um dort bessere Arbeit zu finden, „[…]ging hier das alte Leid wieder los, gleich als ob hier alles verwunschen gewesen sei, da wurde ich vom Unglück gewissermaßen verfolgt.“[7]
Warum wird Peter Kürten immer wieder straffällig? Professor Sioli, Professor für Psychiatrie an der Medizinischen Akademie Düsseldorf analysiert am Ende der Befragungen:
„Es ist aus der Ahnentafel das zu entnehmen, daß Kürten sehr belastet ist von der väterlichen Ahnenseite her mit Trinksucht, krimineller Neigung und der genannten besonderen Form der Psychopathie.[…] Kürten hat eine schlimme Jugendzeit gehabt, und zwar besonders durch die Person des Vaters. […] Unentschieden bleibt es für uns, ob sein Gefühl, daß er von den Geschwistern der war, der am meisten unter dem Vater leiden mußte, daß er in der Lehrzeit ein ganz besonders malträtierter Lehrling war, objektiv begründet ist oder ob er nur subjektiv so besonders litt aus einer empfindlichen Geltungsbedüftigkeit heraus. […] Die Altenburger Zeit ist in Kürtens Leben eine Art Idyll. Er wird Bürger und genießt es Bürger zu sein. […] 1925 verzog K. nach Düsseldorf […]. Sein Geschlechtstrieb trieb ihn zu Frauen, seine geltungsbedüftige Art ließ ihn von diesen besondere Rollen spielen.“[8]

Zur Geltungssucht bemerkt Karl Berg, dass Kürten sich immer sorgfältig kleidete und Pomade und Kölnisch Wasser verwendete.[9] Auch die zahlreichen Brandstiftungen beging Kürten, um Aufmerksamkeit und sich selbst zu erregen.[10]

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[1] Karl Berg: Der Sadist, S.109f.
[2] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.333ff.
[2a] Karl Berg: Der Sadist, S.148.

[3] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.102f. Siehe auch: Karl Berg, Der Sadist, S.139.
[4] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.104ff.
[5] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.110f.
[6] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.137f.
[7] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.112.
[8] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.244ff.
[9] Karl Berg: Der Sadist, S.143.
[10] Karl Berg: Der Sadist, S.153.

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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Herkunft (1): Jugendjahre

Der Vater Peter Kürtens wurde 1859 in Köln-Kalk geboren und arbeitete in Mülheim bei Köln als Sandformer in einer Gießerei. Mit seiner Frau, die aus Wesseling stammte, hatte er 13 Kinder, wovon Peter Kürten (*26.Mai 1883) das dritte war. 1893 zog der Vater mit der Familie von Mülheim nach Düsseldorf, um bei Haniel & Lueg eine Stelle anzutreten. Die Familie Kürten lebte erst auf der Grafenberger Allee in einer 2-Zimmer-Wohnung und später in der Hohenzollernkolonie in Grafenberg, wo die Familie eine 3-Zimmer-Wohnung bezog. 1898 wurde der Vater wegen versuchter Blutschande mit der ältesten Tochter zu eineinhalb Jahren Gefängnis[1] verurteilt, seine Frau ließ sich daraufhin scheiden. Peter Kürtens Mutter heiratete 1911 den Schreinermeister Brandenburg in Düsseldorf Flingern  und starb 1926 oder 1927. Kürtens Vater war im Ersten Weltkrieg in Lüttich und Metz als Sandformer tätig. 1919 heiratete er eine Witwe, von der er sich im nächsten Jahr trennte. Ab 1925 bezog er Invalidenrente.[2]
Der Vater sagte über seinen Sohn:
„Über meinen Sohn Peter könnte ich, solange er bei mir war, nichts Böses sagen. In Mülheim habe ich eigentlich immer nur Gutes von ihm gehört. Die Mutter wird mir wohl verheimlicht haben, was nicht in Ordnung gewesen ist. In der Schule hat der Junge befriedigende Fortschritte gemacht.[…] Mein Sohn Peter war nicht frech, auch nicht unerzogen. Er hat mir nicht viel Schererei gemacht. Daher habe ich ihn in seiner Jugend auch nicht viel gehauen.“ [3]
Peter Kürten hingegen sagte in seiner Haftzeit in einer der Unterredungen mit Prof. Sioli, Professor für Psychiatrie an der Medizinischen Akademie Düsseldorf:
„Ich habe meinen Vater nie geliebt, aber immer gefürchtet. […] Ich habe meinen Vater schon in frühester Jugend als ein Ungeheuer kennengelernt, und es wurde und konnte uns dadurch, wenn die Mutter sagte, dann oder dann kommt der Vater, eine heillose Angst eingejagt werden. Denn auch zahlreich waren seine Exzesse, die ich auch in frühester Jugend schon miterlebt habe, bestehend in Zertrümmerung von Möbeln und Mißhandlung der Mutter und Gewalttätigkeiten gegen andere Menschen und Krakeelen und Trinken und so weiter.“[4]
Über seine Mutter sagte Kürten in der Untersuchung am 1.11.1930, dass er keine Anhänglichkeit, sondern eher eine gewisse Scheu ihr gegenüber verspürt habe. Er führte das zurück auf die Vorwürfe des Vaters wenn dieser betrunken war, dass sie versucht hätte die Kinder im Säuglingsalter umzubringen. Bei Peter Kürten soll sie als kleines Kind Erkältungen mit kalten Tüchern herbeigeführt haben.[5] In der Unterredung mit Prof. Karl Berg äußert Kürten über das Eheleben der Eltern: „Wenn es sich nicht um Eheleute gehandelt hätte, wäre das als Notzucht anzusprechen.“ Seine Jugend bezeichnet Kürten als „Martyrium“. [6]
Von den 13 Geschwistern Peter Kürtens starben zwei jung, einer fiel im Ersten Weltkrieg, zwei Brüder wurden mehrfach wegen schwerer Straftaten verurteilt.[7]  Zu seinen Geschwistern hatte Kürten ebenfalls keine Bindungen, er bezeichnet seine Gefühle als „gleichgültig“ und „scheu“. Er pflegte keinen Kontakt zu ihnen. Einzige Ausnahme war die Schwester, die in Altenburg lebte und ihn zwischen 1921 und 1925 aufnahm.[8]
1897 begann Kürten eine Lehre als Sandformer im selben Betrieb, in dem sein Vater beschäftigt war. Nach zwei Jahren Lehrzeit brannte er mit gestohlenem Geld durch und wurde zum ersten Mal straffällig.
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[1] Karl Berg: Der Sadist, S.139
[2] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.82 ff.
[3] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.84 f.
[4] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.220.
[5] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.222.
[6] Karl Berg: Der Sadist, S.139.
[7] Karl Berg: Der Sadist, S.138.
[8] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.222.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Willkommen (oder: 1. Einleitung)

Jetzt ist er online, der Blog zu Peter Kürten. Dem „Vampir von Düsseldorf“. Dem „Duesseldorf Ripper“. Herzlich Willkommen – zu einer kurzen Einleitung.
Im aktuellen Wintersemester gibt es an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf ein Projektforum zum Düsseldorfer Serienmörder Peter Kürten: „Der ‚Vampir von Düsseldorf‘ (Peter Kürten) vor Gericht – in der Presse – auf der Bühne“.  In diesem Projektforum, einer „Co-Produktion“ des Instituts für Germanistik und dem Institut für Geschichtswissenschaften, wurden die Mordfälle des Peter Kürten und ihre zeitgenössische wie moderne Rezeption in Presse, Literatur, Fotografie, Film und Bühne untersucht. Den Höhepunkt stellt das Symposium am 28. Januar 2011 im Polizeipräsidium Düsseldorf dar.
Um den gewonnenen Erkenntnissen eine Plattform zu bieten, soll dieser Blog zunächst in den Semesterferien  bis April 2011 Stück für Stück mit Beiträgen gefüllt werden. Die einzelnen Beiträge werden in fünf Kapitel eingeordnet und dort gesammelt und verlinkt, um einen einfachen Überblick über die vorhandenen Beiträge zu bieten. Die Kapitel sind:
  • Die Person: Peter Kürten. Seine Herkunft, seine Ehe mit Auguste Kürten, seine kriminelle Laufbahn und seine Hinrichtung.
  • Die Morde, und andere Straftaten die Peter Kürten in Mühlheim und Düsseldorf begangen hat und seine Opfer.
  • Der Fall damals: Die Ermittlungen der Polizei und ihre Methodik, die Arbeit der Presse, die Angstpsychose in der Stadt, die Verhaftung Kürtens und der Gerichtsprozess.
  • Der Fall heute: Der Serienmörder fasziniert bis heute – in der Literatur, im Film, im Bild, auf der Bühne. Was macht die Faszination aus?
  • Die Stadt 1929: Weimarer Republik und Black Friday, zwei Begriffe, die schlagartig ein Bild in unserer Vorstellung vom Jahr 1929 erzeugen. Aber wie sah die Stadt Düsseldorf 1929 aus, womit beschäftigten sich die Menschen? Wie entwickelte sich die Stadt? Wo waren die Tatorte? Dieses Kapitel soll den Lebensstil der Zeit illustrieren und versuchen die Menschen von damals näher zu bringen.
Mit diesem Eintrag ist ein Anfang gemacht, die nächsten Einträge werden sich mit dem Symposium am 28.Januar beschäftigen. Zum Thema werden erste Einträge voraussichtlich ab Februar erscheinen. Bis dahin kann sich auch noch das ein oder andere am Aussehen des Blogs verändern.