Archiv der Kategorie: Hinter Gittern

Hinter Gittern (5): Der letzte Tag

Am 3.Juli 1931 verfasste der Oberstaatsanwalt einen Bericht an den Preußischen Justizminister, in dem er die letzten Handlungen im Fall Kürten darlegte. Am 24.Juni erhielt dieser den Auftrag im Kölner Gefängnis Klingelpütz den Hinrichtungsraum und die dort vorhandene, noch aus der Franzosenzeit stammende[1] Guillotine zu überprüfen. Er stellte fest, dass diese rasch gebrauchsfertig gemacht werden könnte. Am 1.Juli 1931 um 9 Uhr erhielt der Oberstaatsanwalt die Verfügungen des Justizministers zur Ablehnung des Gnadengesuchs und zur Hinrichtung Kürtens. Um 9.30 Uhr meldete sich der Magdeburger Scharfrichter Karl Gröpler mit drei Gehilfen, der sich dann sofort nach Köln begab um die Guillotine gebrauchsfertig zu machen. Um 15 Uhr wurde Kürten von Düsseldorf nach Köln verlegt. Die Überführung erfolgte im Kraftwagen mit ausgesuchter Bewachung ohne dass Kürten Fesseln angelegt wurden. Um 17:05 Uhr gab der Oberstaatsanwalt Peter Kürten die Entscheidung des Justizministers bekannt und erklärte ihm, dass die Hinrichtung am nächsten Morgen um 6 Uhr stattfinden würde.
„Kürten nahm diese Eröffnung tief erschüttert, aber äußerlich gefaßt entgegen.“[2]
Der Oberstaatsanwalt ließ sich anschließend die Funktions- fähigkeit der Guillotine vorführen. Kürten verbrachte die Nacht schlaflos im Beisein von zwei Geistlichen, sein Verteidiger Dr.Wehner war ebenfalls eine Zeit lang anwesend. Gegen 19 Uhr aß er ein Schnitzel, Bratkartoffeln und Salat und trank im Laufe der Nacht anderthalb Flaschen Wein. Er verfasste 13 Briefe, die er an seine inzwischen von ihm geschiedene Frau, den Anstaltsdirektor in Köln und die Opfer, bzw. die Angehörigen der Getöteten gerichtet waren. [3] Seiner Frau schrieb er gegen drei Uhr in der Nacht, dass er um 6 Uhr ausgelitten habe. Dankbar sei er für den Trost der Herren, die bei ihm waren und ihm die letzte Nacht etwas leichter gemacht hätten. Er bat sie „von Herzen“ um Verzeihung für das Unrecht, dass er ihr zugefügt habe, und für die Schmach und die Schande, die sie seinetwegen erlitten habe. Der Brief endet mit den Worten: „Liebe gute Guste bete für mich, im Himmel sehen wir uns wieder.“[4]
Als Beispiel für die Briefe an Angehörige und Opfer seien hier drei zitiert:

„Köln den 1.Juli 1931

An die Angehörigen der kleinen Rosa Ohliger.

In meinem Schlußwort in der Hauptverhandlung hatte ich Sie bereits schon gebeten, wenn es Ihnen möglich sein sollte, das große Unrecht, das ich Ihnen zugefügt habe, mir zu verzeihen. Bevor ich meinen letzten Gang antrete, bitte ich Sie nochmal von ganzem Herzen um Verzeihung. Ich war von einem Wahn befangen und wußte nicht was ich tat. Es tut mir aufrichtig leid.

Ich bete für sie.

gez. Peter Kürten“

„Köln, den 2.Juli 1931

An Frl. Gertrud Schulte.
Aus meiner Sterbestunde:

Ich habe den lieben Gott um Verzeihung gebeten, und Er gab sie mir. Ich bitte auch Sie mir zu verzeihen und meiner in Ihrem Gebet zu gedenken.
gez.Peter Kürten“

„Köln, den 2.Juli 1931

An die Angehörigen der Maria Hahn in Bremen.

In meiner Todesstunde fühle ich besonders das schwere Leid das ich Ihnen zugefügt habe, und bereue es aus tiefstem Herzen.
gez.Peter Kürten“
[5]
Um 4:45 Uhr wurde für Peter Kürten die heilige Messe gelesen, er beichtete und erhielt die Kommunion. „Mit dem Heranna[h]en der Stunde der Vollstreckung nahm seine Fassungskraft immer mehr ab“, beobachtete der Oberstaatsanwalt und erkannte, dass „er nunmehr wirkliche Reue empfand und seine Verbrechen durch den Tod sühnen wollte.“ Um 6:02 Uhr begleiteten ihn die beiden Geistlichen und Dr.Wehner zur Richtstätte im Hof des Gefängnisses, die gegen Blicke von Unbeteiligten abgesichert war. Der Oberstaatsanwalt beschreibt die letzten Momente:
„Kürten war jetzt aufs tiefste erschüttert, hielt sich aber aufrecht und bewahrte unter Aufbietung seiner letzten Kräfte die Fassung. Seine Hände waren ihm leicht auf dem Rücken zusammengebunden. Er hörte die Verlesung der rechtskräftigen Urteilsformel und des Erlasses der Preußischen Staatsministeriums ruhig an, nahm Einsicht in den Erlaß, äußerte aber kein Wort mehr. Der Erlaß wurde sodann dem Scharfrichter vorgezeigt und dieser aufgefordert seines Amtes zu walten. Kürten ließ auch die letzten Vorbereitungen ohne jede Äußerung ruhig an sich vornehmen. Eine Minute später meldete der Scharfrichter, daß das Urteil vollstreckt sei. Die ganze Verhandlung hatte drei Minuten in Anspruch genommen.[6]
Die Leiche Peter Kürtens wurde anschließend an Professor Krause vom anatomisch-biologischen Institut an der Universität Berlin übergeben. Drei weitere Ärzte unternahmen noch vor Ort Versuche und entnahmen Präparate. [7] Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Kopf Kürtens in die USA, wo er bis heute im „Ripley’s Believe It or Not! museum“ in Wisconsin Dells ausgestellt wird. Bei Flickr findet sich eine Fotografie [8] davon.
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[1] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.294.

[2] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.290.
[3] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.289f..

[4] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.291f..
[5] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.293f..
[6] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.291.

[7] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.291.
[8] Jeremy G. Soper: Mummified head of Peter Kürten, http://www.flickr.com/photos/jeremysoper/2556742611/ (abgerufen am 17.03.2011)

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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Hinter Gittern (4): Das Gnadengesuch

Am 22.Mai 1931 stellte der Verteidiger Peter Kürtens in dessen Auftrag den Antrag „die über den verurteilte verhängte Todesstrafe im Gnadengesuch in lebenslängliche Zuchthausstrafe umzuwandeln.“[1] Diesen Worten stellte er die Bitte seines Mandanten voran, der ihm am 27.April 1931 geschrieben hatte. Kürten führte in dem Brief aus, dass er einige Gesichtspunkte der Verteidigungsrede dafür noch einmal vortragen solle: die Frage nach der „Überlegung“ zum Tatzeitpunkt (schließlich könne kein Mensch be- urteilen, wie es in ihm selbst ausgesehen habe), seine erbliche Belastung, das „Martyrium seiner Jugend“ und die Folgen des Strafvollzugs. Kürten schreibt: „Es wäre wohl niemand, der in meinen Kinderschuhen gesteckt hätte, unbeschadet durchs Leben gegangen, aber höchstwahr- scheinlich auch schwer verunglückt.“[2]
Am 3.Juni 1931 folgte dann die Stellungnahme des Ober- staatsanwalts. Dieser stellt fest, dass das Urteil (zugestellt am 29.5.1931) in „tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht“ ohne Makel sei. Er geht dann auf das Geständnis ein und bestätigt noch einmal, dass das Urteil angemessen war. Er spricht sich für die Vollstreckung der Strafe aus, da Kürten einer Begnadigung unwürdig sei. Der Oberstaatsanwalt beschreibt ihn als sittliche verkommen, als Verachter von Menschenleben und als grausamen Kindermörder. Reue oder Mitleid habe Kürten nicht gezeigt, die Schlußworte im Prozeß seien unecht und mit Berechnung auf das Gnadengesuch ausgesprochen, was auch in der Urteilsbegründung so gesehen werde. Die Gesellschaft hätte einen Anspruch auf dauerhaften Schutz gegenüber einem solchen Verbrecher, wie sie nur die Todesstrafe gewähren würde. Kürten hätte mehrfach in seinem Leben die Gelegenheit gehabt sich zu bessern, doch diese Chancen habe er allesamt nicht wahrgenommen. Er sei überhaupt nur aus einem Grund von Altenburg nach Düsseldorf gekommen: um neue Straftaten zu begehen. Außerdem, so führte der Oberstaatsanwalt aus, würde das Volk eine Begnadigung nicht verstehen und auch die Presse sei überwiegend dafür, lediglich prinzipielle Gegner der Todesstrafe sprächen sich dagegen aus. Dies sei aber in diesem Fall zu vernachlässigen, da ein Rechtsirrtum ausgeschlossen sei.[3]
Der Stellungnahme des Oberstaatsanwalts ist eine Stellungnahme des Polizeipräsidenten beigefügt. Sie datiert vom 19.Juni 1931. Der Polizeipräsident führt aus, dass die Stimmung im Volke für eine Vollstreckung der Todesstrafe sei, auch wenn die Presse sich mit grundsätzlichen Erwägungen zur Todesstrafe zu Wort melde. Außerdem sei das Volk für Kürten zu schützen. Kürten sei es ohne weiteres zuzutrauen aus dem Gefängnis auszu- brechen, wie es einem Mörder am 15.6.31 in Lüttringhausen gelungen sei. Ebenfalls sprächen sich die Angehörigen der ermordeten Kinder für den Vollzug der Todesstrafe aus.[4]
Auch der Direktor der Strafanstalt äußert sich am 19.Juni 1931 zum Gnadengesuch. Die Anstaltskonferenz stimmte am selben Tag für Ablehnung des Gnadengesuch, nur der katholische Pfarrer habe sich der Stimme enthalten. Es folgt darauf ein Bericht über die Haftzeit Kürtens seit dem 7.Juni 1930, der einen Einblick in seine Gemütsverfassung gibt. Kürten benahm sich als sei er Herr der Situation und verlangte zahlreiche Extra-Wünsche, die ihm gewährt wurden, wenn er drohte die Aussage zu verweigern. Unter anderem verlangte er Kautabak einer anderen Marke, einen neuen Zellenanstrich, andere Matratzen oder eine Zelle zur Sonnenseite hin. Diese Wünsche wären ihm aber alle nicht gewährt worden. Als im Herbst 1930 ein Gutachter aus Bonn auf Antrag des Verteidigers ihn untersuchte, brachte dieser seine Privatsekretärin mit. Kürten erklärte daraufhin, dass die Frau einen schönen Hals habe und er nicht garantieren könne, dass er sich einmal auf sie stürzen könne. Der Gutachter verzichten anschließend darauf die Sekretärin weiterhin mitzubringen. Auch der Verteidiger hätte seinerseits größte Probleme mit Kürten gehabt und habe nur mit ihm reden können, wenn er ihm Rauchwaren, Genußmittel, Zeitungen oder ein bestimmtes Weißbrot mitbrachte. Seit Dezember 1930 besuchte er den Gottesdienst. Trotz nächtlichem Licht und Bewachung durch einen Beamten schlafe er seelenruhig und hätte den ersten Verhandlungstag verschlafen, wäre er nicht geweckt worden. An den Verhandlungstagen achtete er darauf perfekt frisiert und gekleidet zu sein. Nach dem Urteil wurde Kürten auf Anordnung des Präsidenten des Strafvollzugsamts in Sträflingskleidung gesteckt und aller Vergünstigungen wurden ihm entzogen, worauf er bereute das Urteil angenommen zu haben. Er sprach dann auf oft Reue und Mitleid mit den Opfer, was aber „entsprechend seiner andersgearteten Persönlichkeit […] von der Reue anderer Menschen wohl zu unterscheiden sei.“ Er stellte auch dar, dass die jetzige Staatsregierung aufgrund ihrer Einstellung die einzige Gewähr für ein erfolgreiches Gnadengesuch sei, was -so erklärte der Anstaltsdirektor- der wahre Grund für die unverzügliche Annahme des Urteils gewesen sei. Außerdem äußert der Anstaltsdirektor die Sorge, dass sich Kürten trotz strengster Sicherungs- maßnahmen an einem Mitgefangenen oder Beamten vergreifen könnte.[5]
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[1] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.260.

[2] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.260..
[3] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.261ff..
[4] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.264f..
[5] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.267ff..

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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Hinter Gittern (3): Die Untersuchung von Prof.Sioli

Nachdem gestern an dieser Stelle die Analyse von Karl Berg vorgestellt wurde, soll nun gleiches mit den Erkenntnissen des Leiters der Grafenberger Anstalt geschehen. Die Gespräche von Prof.Franz Sioli mit Peter Kürten dauerten vom 7.Oktober 1930 bis zum 2.November 1930. Die ärztliche Begutachtung teilt Prof.Sioli in drei Kapitel: Die Frage nach einer möglichen Geisteskrankheit, die Frage ob die freie Willensbewilligung aufgehoben wurde und schließlich eine ärztliche Ausführung zur Persönlichkeit Kürtens.
Wie Prof.Berg stellt Prof.Sioli fest, dass es keine körperlichen Anzeichen für eine Geisteskrankheit gibt und das er auch während der Untersuchung keinerlei Anzeichen dafür entdeckt hat. Es gab keine Anzeichen für eine krankhafte Affektstörung.
„Es fehlen alle die unmotivierten stereotypen, manierierten Absonderlichkeiten in Haltung und Bewegung von Gesichtsmimik, Ausdrucks- und anderen Bewegungen des Körpers und der Sprache, welche die Anzeichen katatoner Störungen, des Spanungs- irreseins oder Triebirreseines sind.“[1]
Zwei „geistige Vorgänge“ erörtert Prof.Sioli anschließend: Die „Sühneidee“ und die „Stimmen“ die Kürten gehört haben will. Zu letzterem Punkt stellt Sioli fest, dass dies keine Sinnestäuschungen waren, sondern Phantasie- vorstellungen Peter Kürtens, denen „die Möglichkeit der Verwechslung mit der Wirklichkeit völlig fehlt.“ Kürten war besser als anderen Menschen imstande sich Phantasie- vorstellungen lebendig auszumalen, was aber kein krankhaft Zug war.
Die Sühneidee, die Kürten erst in den Untersuchungen so formuliert und die in den polizeilichen Vernehmungen als Rachegedanke zu Tage kommt, ist für Prof.Sioli kein „krankhaft entstandender unkorrigierbarer Irrtum des Kürten, sondern eine von ihm selbst denkerisch gebildete  Rechtfertigungstheorie.“ Doch ebenso wie Karl Berg stellt Sioli fest, dass die Sühneidee lediglich ein Teil seiner sexuellen Befriedigung war und nicht zu den Tatmotiven zählt, sondern erst anschließend auftaucht.
Weiterhin untersuchte Prof.Sioli ob temporäre Bewußt- seinsstörungen bei Kürten vorliegen, ob er möglicherweise seine Geständnisse erfunden haben könnte oder ob er eine bestehende krankhafte Störung zu verheimlichen versucht. Prof.Sioli kommt zu dem Erkenntnis, dass keine dieser Möglichkeiten zutrifft, allerdings warnt er, dass seine Begutachtung nicht auf einer klinischen Dauerbeobachtung fußt, sondern auf mehrfachen Untersuchungen im Gefängnis. Er empfiehlt eine sechswöchige Anstaltsbeobachtung und schließt sich damit einem Antrag von Prof.Berg an.
Zur zweiten Frage, ob eine Bewußtseinsstörung während der Ausführung der Taten vorlag, liegen Prof.Sioli ebenfalls keine Anzeichen vor. Die Erinnerung Kürtens ist vollständig und wird von den Zeugen bestätigt, so dass ein Zustand von Bewußtlosigkeit ausgeschlossen wird. Zusammen- fassen stellt Prof.Sioli fest:
„Die Taten Kürtens stellen sich uns also in der Weise dar: Zum Zweck der sexuellen Befriedigung hat Kürten seine Taten geplant, unternommen und durchgeführt, die sexuelle Befriedigung war von ihm nur durch Gewalttaten vollendet möglich; die in der Sühneidee von ihm zusammengefaße denkerische Theorie ermöglichte es ihm, jede Hemmung beiseite zu schieben, die nach einer Tat für die nächste Tat entstehen konnte; Großmanns- sucht und Phantasieausmalung gaben ihm zu den Gesamthergängen das affektive Beharren.“[2]

Den Ergebnissen zur Geisteskrankheit, Motiven und dem freien Willen folgt dann eine ärztliche Einordnung der Persönlichkeit Kürtens. Prof.Sioli führte dazu eine Untersuchung der „Erbeigenschaften“ durch, die auf einem Ahnentafel eines Dr.Neustadt und der Charakterisierung Kürtens beruht. Es wird dabei klar, dass nur auf der väterliche Seite eine „außerordentliche Häufung gleicher Eigenschaften“ zu erkennen ist. Dazu gehören:

„Geisteskrankheit in geringem Maße, Kriminalität in stärkerem Maße, Trunksucht in noch stärkerem Maße und am stärksten verbreitet […] Großmannssucht, lebhafte[…] Phantasietätigkeit, Reizbarkeit und gesteigerte Sexualität.“[3]

Die Geisteskrankheiten, die dort festgestellt wurde, sind vermutlich keine, die vererbt, sondern während des Lebens erworben wurden, z.B. durch den Alkohol oder Syphilis- erkrankungen. Prof. Sioli erklärt im Anschluss daran noch einmal ausdrücklich, das das Vorhandensein von Erbeigenschaften nicht die Verantwortung für die Entwicklung im Leben ersetzt.
Als sicher steht für Prof.Sioli fest, dass Peter Kürten eine schlimme Jugendzeit hatte, die besonders von seinem prügelnden und trinkenden Vater beherrscht war. Alle seine wesentlichsten Eigenschaften wurde bis zu seinem 16 Lebensjahr – als er von zu Hause ausriß – entwickelt.

„Wir sehen in der Persönlichkeitsentwicklung Kürtens als wichtigste Eigenschaft die Entstehung und immer konsequentere Entwicklung der sadistische Perversion an, die in früher Jugend entstand, die in Phantasie und Handlung ihn dauernd beschäftigt […].“[4]

Auch Prof.Sioli betont, ebenso wie Prof.Berg, dass Kürten neben seinen negativen Eigenschaften auch andere besitzt. So seien ihm zarte Gefühle und Triebe nicht fremd, was sich besonders in seinem Verhältnis zu seiner Frau äußere. Auch schaffte er es „in seiner schrecklichtsten Zeit der Mordlust“ sich seinem Vater anzunähern und sich mit ihm auszusprechen. In seiner Phantasie stellte er sich auch die dankbare, jubelnde Stadt Düsseldorf vor, die nun vom Düsseldorfer Mörder befreit sei. Ein weitere positive Eigenschaft ist seine intellektuelle Geistesfähigkeit und seine Bildung.[5] Abschließend stellt Prof.Sioli fest:

„Für Menschen, in denen einzelne höhere Eigenschaften gerade das Triebleben zu einer besonderen Höhe entwickelt sind, hat die medizinische Wissenschaft den Begriff der Psychopathie, die Abartung im Seelischen, ohne daß dies Abartung von der medizinischen Wissenschaft als Krankheit im engeren Sinne oder als unabänderliche, dem freien Willen entzogene Veränderung betrachtet wird. Und so erscheint es uns medizinisch gesehen die Persönlichkeit Kürtens.“[6]

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[1] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.232f..

[2] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.241.
[3] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.244.
[4] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.251.
[5] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.232-253.
[6] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.252.

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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Hinter Gittern (2): Die Untersuchung von Prof.Berg

Nachdem Kürten in Haft genommen worden war und die kriminalistischen Voruntersuchungen abgeschlossen waren, wurde er von mindestens drei Ärzten untersucht: Gerichtsmediziner Prof.Berg, der Leiter der Grafenberger Anstalt Prof.Sioli und ein Dr.Raether begutachteten Peter Kürten. Von Prof.Berg und Prof.Sioli sind Gespräche, Berichte und Protokolle überliefert, in diesem Beitrag sollen die Schlussfolgerungen Karl Bergs aus seiner Untersuchung Kürtens vorgestellt werden.
Karl Berg beschreibt Kürten als von seiner Umwelt als harmlos und unauffällig wahrgenommener Mensch. Eine der wenigen herausragenden Eigenschaften war seine Eitelkeit. Selbst im Gefängnis bemühte er sich gut auszusehen und wirkte so auf seine Umgebung jünger als er war. Außer einer unauffälligen Narbe an der Wange und einer Rißwunde in der Kopfhaut, die durch ein Eisenstück herrührte, das ihm auf den Kopf fiel und ihm noch Jahre später Kopfschmerzen verursachte, war er ohne „körperliche Abweichungen“. Während der Haft war Kürten gegenüber seiner Umwelt freundlich und zugänglich, zu Berg „sogar zutraulich“. Auch nach langen Gesprächen zeigte er keine Anzeichen von Ermüdung oder Gereiztheit.
Gegenüber der Polizei und vor Gericht lehnte Kürten jede „sexuelle Triebfeder“ als Motiv für sein Handeln entschieden ab, er wollte nicht als „Lustmörder“ gelten. Gegenüber Berg, der ihm ärztliche Verschwiegenheit zusicherte und deren Status ihm auch der Untersuchungs- richter bestätigte, äußerte er sich offener. Berg zitiert Kürtens Äußerungen über sich selbst ausführlich, so beschreibt dieser beispielsweise seinen Drang zum Töten:
„Ich hatte eigentlich dauernd die Stimmung, Sie werden es Drang nennen, zum Umbringen. Je mehr, um so lieber. Ja, wenn ich die Mittel dazu gehabt hätte, dann hätte ich ganze Massen umgebracht, Katastrophen herbeigeführt. Jeden Abend, wenn meine Frau Spätdienst hatte, bin ich herum- gestreift nach einem Opfer. Es war aber nicht so leicht, eins zu finden.“[1]
Den sexuellen Trieb beschreibt Kürten bei sich selbst als sehr stark, der sich durch seine Taten noch verstärkte und weitere Überfälle provozierte. Befriedigung seiner sexuellen Erregung fand er nicht im Mißbrauch sondern in der Gewalt, beim Würgen oder Stechen seiner Opfer, was erklärt, warum er Frauen unterschiedlichen Alters, Kinder und einen Mann überfiel und tötete. Ein besonderes Vergnügen war für ihn,  wenn er blutende Wunden sehen konnte. Sein Trieb war nicht periodisch, sondern immer gleich stark, die unterschiedliche Auswirkungen erklärte er mit geglückten oder eben nicht geglückten Überfällen, Brandstiftungen oder Haftzeiten. Zu den Brandstiftungen erklärte er:
„In meinen Vorstellungen spielten die Brände dieselbe Rolle wie andere Massenunglücke, wenn die Leute dabei so durcheinander liefen und schrien, das war mein Vergnügen. Auch der grelle Feuerschein nachts war erregend.[…] Ich habe regelmäßig den Brand beobachtet, meist aus nächster Nähe, so daß ich schon zur Hilfeleistung herangezogen wurde. Ich befand mich sonst immer unter den Zuschauern auf der Straße […] Bei großen Bränden kam es dann immer zum Samenerguß.“[2]
Ausgehend von Kürtens Äußerungen stellt Karl Berg fest, dass Kürten als Sadist einzuordnen ist, der allerdings im Gegensatz zu anderen bekannten Sadisten und Verbrechern nie die gleiche „Arbeitsmethode“ anwandte, was das Besondere an Kürten war. Die ersten Anzeichen für den Sadismus Kürtens findet sich in dessen Kindheit, als er „Freude an Tierschlachtungen“ bemerkte. Gleichzeitig damit kamen ein kurze Phase der Sodomie. Berg urteilt:
„Sein von ihm geschildertes Tierquälen war schon sadistisch gerichtet. […] Aber er bestätigt doch die alte Erfahrung, daß frühzeitige Tierquälerei das Vorzeichen einer Künftigen Kriminalität ist.“[3]
Besonders wichtig war ihm, wie aus den Äußerungen schon deutlich geworden ist, der Anblick des austretenden Blutes:
„Das war das unfehlbare Reizmittel, um den Orgasmus auch dann noch hervorzurufen, wenn andere auch sonst oft erprobte Mittel, wie das Würgen, die Hammerschläge, nicht oder nicht schnell genug wirkten.“[4]
Karl Berg stellte fest, dass Kürten auch nicht der Mörder war, als der er sich bei der Polizei darstellte. Sein Zweck war allein die „Befriedigung des Geschlechtstriebs“. Bei Opfern, bei denen Blut floss, als sie noch lebten oder bei denen Kürten durch Würgen zur Befriedigung kam, verlor er sofort danach das Interesse. Eine Tötungsabsicht gab es nach der Ejakulation nicht mehr. Eines der vielen Beispiele dafür ist der Fall Hau. Nachdem Kürten seinem Opfer das Blut von der Lippe geküsst hatte und es zur Ejakulation gekommen war, handelten sie noch die Kosten für den Kaffee aus und Kürten verschwandt. In einigen Fällen, wie bei Maria Budlies, führte Kürten seine Opfer zurück zur Straßenbahn und verhielt sich wie ein höflicher Kavalier. Seine wiederholten Besuche an Tatorten oder auch Gräbern, zum Beispiel dem des Mädchen Christine Klein in Mülheim, fanden zu dem gleichen Zweck – der Befriedigung des Geschlechtstrieb- statt.
Dieser Betrachtung das Sadismus‘ Kürtens folgt bei Karl Berg ein weiteres Kapitel, dass den Blick auf die Person Peter Kürten noch vertieft. Er hält ihn nicht für geisteskrank im Sinne des § 51 StGB. Ein Zwang zur Ausübung war nicht vorhanden. Berg urteilt:
„Im Grunde war es doch nur eine Gewohnheit geworden, abends und an den Feiertagen auszugehen und nach einem geeigneten Opfer auszuspähen. Fand er keins, und das war glücklicherweise die Regel, so ging er eben unbefriedigt heim.“[5]
Dazu stellt Berg fest, dass Kürten auch im Moment der Ausführung der Tat wachsam war und wie im Fall Schulte bei einer Störung oder Gefahr für sich selbst sofort von seinem Vorhaben abließ.
Prof.Berg bezeichnet Peter Kürten als Psychopathen, dessen Charakter vom trunksüchtigen Vater und Vatersvater negativ beeinflusst wurde. Der Sadismus sei nur die Teil- erscheinung einer allgemeinen Psychopathie. Dazu gehört auch „sein Hang zur Lüge und Verstellung“, die er zu ungeahnter Meisterschaft kultiviert habe. Die Wirkung seiner Fähigkeiten als Schauspieler wurde durch seine Geistesgegenwart und Dreistigkeit verstärkt. Als Beispiel dient Berg hier unter anderem der Fall des Mädchens aus Herne, das ihn in der Steinstraße erkennt und anzeigen will, was er durch Androhung eine Gegenanzeige vermeiden kann.
Der Verlogenheit in Kürtens Wesen steht eine erstaunliche Offenheit gegenüber, die er gegenüber den Ärzten zeigte. Die Mischung aus Offenheit und Lüge bedingte auch die über ein halbes Jahr dauernde Voruntersuchung der Staats- anwaltschaft. Die schon angesprochene Eitelkeit, die er pflegte, spiegelte sich in seinem Innern durch seine Selbstgefälligkeit, die auch sein ausführliches Geständnis erklärt. Reue oder Mitleid  mit seinen Opfern empfand Kürten in den Gesprächen mit Prof.Berg nie.
Zu den „schätzenswerten“ Eigenschaften Kürtens zählt Berg dessen selbsterworbene Allgemeinbildung, das gute Gedächtnis, welches durch die Überprüfung des Geständnisses bestätigt wurde, und seinen scharfen Blick für alle Nebenumstände. Das Alter seiner Opfer schätzte er auch bei nur kurzem Zusammensein in der Regel sehr genau ein. [6]
Karl Bergs Analyse endet mit folgenden Worten:
„Wer sich nach den Zeitungsberichten über die entsetzlichen Verbrechen des Kürten ein Bild von ihm zurecht legt, der stellt sich ihn als einen gefühlskalten, rohen Menschen vor, als die Bestie in Menschengestalt. Der Zeitungsleser erfährt eben nur das Schreckhafte. Wer sich aber näher mit diesem seltsamen Menschen beschäftigt und zu scheiden vermag zwischen dem Sadisten Kürten und dem Menschen Kürten, der wird zu seiner Verwunderung in diesem Menschen Kürten neben manchen Mängeln auch Werte entdecken just in ähnlicher Mischung wie bei anderen Mitmenschen auch, einen zugänglichen, freundlichen Plauderer mit vielseitigen Kenntnissen und zutreffendem Urteil, der vergessen macht, daß wir dem Düsseldorfer Mörder gegenübersitzen.[7]
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[1] Karl Berg: Der Sadist, S. 145.
[2] Karl Berg: Der Sadist, S. 152f.
[3] Karl Berg: Der Sadist, S. 161.
[4] Karl Berg: Der Sadist, S. 160.
[5] Karl Berg: Der Sadist, S. 166.
[6] Karl Berg: Der Sadist, S. 143-176.
[7] Karl Berg: Der Sadist, S. 176.
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Hinter Gittern (1): Kürten im Urteil seiner Umwelt.

Als am 24.Mai 1930 Peter Kürten gefasst wurde, verbreitet sich die Nachricht am nächsten Morgen in den Sonntags- ausgaben der Düsseldorfer Zeitungen. Am Montag erschienen dann weitere Artikel, die Düsseldorfer Nachrichten druckten ein Foto des Düsseldorfer Mörders ab. Nicht nur die Polizei ermittelte in seinem Umfeld, sondern auch die Journalisten versuchten sich ein Bild von dem Mann zu machen. Man stieß auf seine kriminelle Vergangenheit und befragte das Umfeld. Die Düsseldorfer Nachrichten berichteten, dass Kürten bei seiner letzten Arbeitsstelle nicht sonderlich beliebt gewesen war und unter den Kollegen keine Freunde gefunden hatte. Er galt als arbeitsscheu und ließ sich häufig krank schreiben. Er beteiligt sich nicht an Gesprächen – auch nicht an Unterhaltungen über den Düsseldorfer Mörder – und blieb verschlossen. Kürten war dafür bekannt „daß [er] seine Frau vernachlässigte und daß er lieber Mädchen nachstellte.“ Ein Arbeitskollege beobachtet einmal erstaunt, dass Kürten Mädchen gegenüber auf einmal sehr redegewandt sein konnte. Im Haus Mettmanner Straße 71 war man, so berichtet die Zeitung, ebenfalls sehr erstaunt. über die Festnahme und das Geständnis. Viel Kontakt mit Kürten hatten die Bewohner nicht mit ihm, er bemühte sich auch hier nicht um Anschluss. Im Gegensatz dazu suchte Auguste Trost bei den Nachbarn und klagte häufig über die Affairen ihres Mannes. Vier Monate vor der Verhaftung kam es zwischen dem Vermieter und Peter Kürten zu einem Streit, der zur Kündigung des Mietverhältnisses führte, nachdem Kürten dem Vermieter gedroht hatte. An einem der nächsten Abende kamen die Kürtens zu ihrem Vermieter und Peter Kürten „[…] bat diesen wie ein gescholtenes Kind demütig um Verzeihung.“[1]
Gegenüber der Polizei sagte ein Arbeitskollege aus der Zeit als Kürten im Februar 1929 bei Schiess-Defries angestellt wurde und der seinen Spind neben dem Kürtens hatte, dass Kürten sehr naturliebend war und sie häufig mit ihren Frauen nach Feierabend den Ostpark besuchten. Auch er stellte fest, dass Kürten „zu Frauen sehr freundlich“ war. Als sie einmal am Hellweg entlang gingen, zeigte Kürten auf eine Stelle und bezeichnete diesen als Ort, an dem der Invalide Scheer gelegen habe. Darüber hinaus beschrieb der Arbeitskollege Kürten noch als geizig, er habe nie etwas von ihm bekommen.[2]
Ein ehemaliger Nachbar aus der Zeit, als die Kürtens in Altenburg lebten, bezeichnete Kürten als sonderbaren und unruhigen Menschen. Auffällig oft habe sich mehrmals an einem Abend umgezogen, um dann wegzugehen. Darüber hinaus sei er misstrauisch und schreckhaft gewesen, wenn man plötzlich in der Stube auftauchte. Kürten brachte auch noch zwei weitere Schlösser an der Wohnungstür an. Der Nachbar beobachtete, dass Kürten viel rauchte aber nur wenig Alkohol zu sich nahm. Öfters sei es vorgekommen, dass man aus der Wohnung einen heftigen Aufschlag hören konnte, was Kürten mit Epilepsieanfällen seiner Frau erklärte.[3]
Niemand unter den Befragten hätte Kürten vor dem 24.Mai 1930 für den Düsseldorfer Mörder gehalten. Er war ein seltsamer, eigenwilliger Mensch mit einem Hang zu Liebschaften, ein Mensch mit Fehlern, der aber sonst nicht auffiel.
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[1] Kürten im Urteil der Umwelt, in: Düsseldorfer Nachrichten, 26.Mai 1930, Morgen-Ausgabe, Nr.265.

[2] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.77f..
[3] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.78f..
[4] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.79f..

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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.