Archiv der Kategorie: Ermittlungen

Ermittlungen (5): Ernst Gennat und die Mordkommission

Nach dem Mord an Ida Reuter forderte die Düsseldorfer Polizei Hilfe aus Berlin an. Bereits in einem früherem Stadium der Mordserie waren Berliner Ermittler vor Ort, nun erschien mit Ernst Gennat ein gewichtiger und anerkannter Kriminalist in Berlin. „Der volle Ernst“ oder „Buddha“ wurde er aufgrund seiner Leibesfülle genannt und schon zu Lebzeiten war er ein Berliner Original und eine Legende unter den Kriminalisten.
Ernst Gennat wurde am 1.Januar 1880 in Plötzensee geboren, sein Vater war Oberinspektor im dortigen Gefängnis. 1904 kam er nach einem abgebrochenen Jura-Studium zur Berliner Kriminalpolizei. Die Polizei war damals noch sehr militärisch geprägt, Uniformen dominierten das Bild und der Wert der kriminalistischen Ausbildung war gering. Es kam vor, dass die Polizisten am Tatort eines Kapitalverbrechens erst einmal aufräumten und die Leiche „schicklich“ positionierten und ihr die Augen schlossen, bevor sie die Kriminalpolizei informierte. 1926 wurde er Leiter der von ihm reformierten Berliner Mordinspektion[4] und damit Vorbild für andere Polizisten in der Weimarer Republik. Er führte die sogenannte „Mörderkartei“ ein, in der die Akten verschiedener Mordfälle gesammelt wurden und mit deren Hilfe Verbindungen gezogen werden konnten. Eine weitere „Erfindung“ Gennats war das „Mordauto“. Dieses Spezialfahrzeug enthielt alle nötigen Ausrüstungs- gegenstände zur Spurensicherung, eine Kamera und eine Schreibmaschine samt „Schreibdame“. Im Jahr 1926 wurden auch erstmals Polizistinnen in die Kriminalpolizei aufgenommen. Gennats Mordinspektion klärte im Jahr 1931 von 114 Tötungsdelikten 108 auf – eine beachtliche Aufklärungsquote von 94%. An den Ermittlungen und Aufklärungen der Serienmörder Karl Großmann und Fritz Haarmann war er federführend beteiligt.[1], [2], [3]
Nachdem Eintreffen Gennats in Düsseldorf wurde die Mordkommission anscheinend umstrukturiert. Jeder der zeitweilig 50 Beamten erhielt einen eigenen Aufgabenkreis, Gennat nennt als Beispiele „Geisteskranke – frühere Sittlichkeitsverbrechen – Schriftvergleichung – ähnliche Verbrechen …  usw.“[5] Auch der Bereich der Pressearbeit wurde einem einzelnen Beamten zugeteilt. Regelmäßige Besprechungen aller Kriminalisten sollten gewährleisten, dass trotz der Aufgabenteilung immer der aktuelle Stand der Ermittlungen bekannt war. Auch die Staatsanwaltschaft stellte sich um und ernannte einen Sonderdezernenten, der engstens mit der Kriminalpolizei zusammenarbeitete.
Außerdem führte Gennat eine Zentral-Registratur ein, die sich vermutlich an der Berliner Mordkartei orientierte. Sie berücksichtigte die „Notwendigkeit einer einheitliche Bearbeitung sämtlicher Spuren“ und verzeichnete auf einzelnen Karteikarten den „Namen des Anzeigenden, des Verdächtigen, gegebenenfalls ein Stichwort über den Tatbestand und das Aktenzeichen.“ Die einzelnen Akten wurden in „Hauptakten“ und „Nebenakten“ gegliedert. Erstere enthielten nur das „wirklich wichtige Material“, letztere „Nebenspuren“ über einen Schlußbericht in der Hauptakte sollte sichergestellt werden, dass alle Aspekte eines Falls übersichtlich dargestellt wurden.[6]
Es dauerte nicht lange, bis nach dem Mord an Ida Reuter die verstärkte Mordkommission einen weiteren Fall des Düsseldorfer Serienmörders aufzudecken hatte.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.

Die Presse (2): Die Presse und die Kriminalpolizei

Ernst Gennat, Leiter der Berliner Mordinspektion, der ab Ende September 1929 die Düsseldorfer Kriminalpolizei unterstützte, schilderte 1930 in den „Kriminalistischen Monatsheften“ die Erkenntnisse zu den „Düsseldorfer Sexualverbrechen“ und auch seine Erfahrungen mit der Presse. Diese reichen von „[…] die Presse in ihren Auswüchsen – die Presse als wertvolle Helferin des Kriminalisten.“[1]
Die Mehrheit der Presse, so Gennat wurde erst mit den letzten Fällen im November 1929 auf die Düsseldorfer Mordserie aufmerksam. In dieser Phase waren 30 bis 40 Journalisten und Fotografen in Düsseldorf, unter anderem auch Vertreter der englischen, holländischen, dänischen, schwedischen, französischen, tschechoslowakischen, (u.a) Presse. Aus dem ferneren Ausland kamen „ununterbrochen“ telefonische Anfragen, die nach der nächsten Sensation, der nächsten Nachricht fragten und wissen wollten „ob schon wieder ein neuer Kindermord zu verzeichnen oder mit einem solchen zu rechnen sei.“[2]
Gennat bezeichnet es als Aufgabe der Kriminalpolizei, die Presse angemessen mit Material zu unterstützen, um eine sachliche Berichterstattung zu ermöglichen. Kriminalist und Journalist müssten die gegenseitigen Bedürfnisse verstehen und sich gegenseitig unterstützen, gerade in diesem Fall, wo die Kriminalpolizei auf die Unterstützung und Mitwirkung der Bevölkerung angewiesen sei, da die kriminalistischen Methoden erfolglos blieben. Die Presse war also sowohl Mitarbeiter als auch Gefahr für die Kriminalpolizei.[3]
In seinem Bericht in der gleichen Zeitschrift zum Prozeß gegen Peter Kürten griff Ernst Gennat das Thema Kriminalpolizei und Presse noch einmal auf und urteilt im Rückblick:
„Es ist ohne weiteres zuzugeben, daß die Veröffentlichungen in der Presse in erheblichem Umfange wertvolles Material zu Tage gefördert haben. Diese Feststellung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die kriminalistische Bearbeitung jener Sexualverbechen durch die Presse auch erheblich gestört und beeinträchtigt worden ist.“[4]
Vor allem, so Gennat, müsse künftig vermieden werden, dass aus solchen Fällen Sensationen gemacht werden, die anschließend die Bevölkerung verunsichern und eine Psychose auslösen, die die Kriminalpolizei noch mehr an der Arbeit behindert. Vor alle sollen keinerlei Tatbestände und schon gar nicht Details an die Presse gegeben werden, sie müssten unbedingt Geheimnisse der Ermittler werden, um unter anderem Geständnisse und Selbstbezichtigungen richtig analysieren zu können. Außerdem verhindere eine unsachliche, sensationsgierige Berichterstattung, dass mögliche Zeugen die Polizei aufsuchten, wenn die Gefahr bestünde, dass sie nachher in der Presse bloßgestellt würden.
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[1] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.58.
[2] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.58.
[3] Ernst Gennat: Die Düsseldorfer Sexualverbrechen, S.58ff..
[4] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.211.
[5] Ernst Gennat: Der Prozeß, S.211.
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Ermittlungen (4): Fall Seiser

Im August 1929 glaubt die Düsseldorfer Kriminalpolizei dem Täter auf der Spur zu sein. Ein Verdächtiger namens Seiser hatte schon mehrere Sittlichkeitsverbrechen an Kindern unter 13 Jahren begangen und war angesichts der Fälle Ohliger, Hamacher und Lenzen in den Fokus der Ermittler geraten. Dieser Seiser hatte einen Schrebergarten am Flinger Broich, dort hatte er eine Schaukel aufgestellt und so Kinder angelockt. Mit dem Invaliden Scheer soll er befreundet gewesen sein. Im August wurde vor einem Düsseldorf Schöffengericht gegen ihn verhandelt und die Polizei schöpfte aufgrund seines merkwürdigen Verhaltens, als der Richter das Gespräch auf die Mordserie brachte, Verdacht. Die Wohnung und der Schrebergarten wurden durchsucht und mehrere Messer und eine leere, etwa 17cm lange Dolchscheide gefunden. Darüber hinaus wurde ein Kastenwagen gefunden. Ein solchen hatte ein Zeuge im Fall Ohliger in der Nähe des Tatorts gesehen. Doch auch diese Spur erwies sich als falsch, da die Mordserie nicht aufhörte, als Seiser in Haft war.[1]

 

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[1] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.27f..
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Ermittlungen (3): Fall gelöst?

Die Fahndung, die nach den Mordfällen Ohliger und Scheer einsetzte, war schließlich erfolgreich. Nach einigen Missgriffen nahm die Polizei einen Geisteskranken namens Stausberg fest. Dieser hatte am Abend des 2.April 1929 die 16jährige Erna Penning überfallen. Das Mädchen hatte glücklicherweise den Kragen hochgeschlagen, als sie hinter sich Schritte hörte. Dann wurde ihr eine Schlinge um den Hals geworfen und zugezogen. Gerade noch rechtzeitig bekam sie die Hand zwischen Hals und Strick und fiel dann in den Straßengraben. Stausberg begann sie zu würgen. Das Mädchen griff nach seiner Nase, hielt sie zu und konnte dann aufstehen. Daraufhin nahm Stausberg, der kein Wort gesagt hatte, die Schlinge weg und das Mädchen lief davon. Am nächsten Abend (3.April) wurde im Norden der Stadt eine Frau Flake von hinten angegriffen. Stausberg warf auch ihr die Schlinge über und zog sie dann hinter sich über ein Feld. Zwischendurch stopfte er ihr ein Taschentuch in den Mund. Stausberg wurde von Passanten entdeckt und floh, doch die Polizei konnte ihn ermitteln. Der 21jährige Mann wohnte mit seiner Familie in einem Obdachlosenasyl.
Die Vernehmung gestaltete sich schwierig, da er nur sehr undeutlich sprach, aber was er sagte war auffallend genau. Nachdem er die beiden Würgefälle im April gestanden hatte, fragten die Beamten ihn nach den Februarfällen. Stausberg gab die Morde zu und schilderte sie mit einer für einen Analphabeten sehr genauen und in vielen Punkten den Befunden entsprechenden Beschreibung des Tatgeschehens. Lediglich den Mord an Rosa Ohliger, so stellte Prof. Karl Berg fest, schilderte er ein wenig abweichend vom Befund, aber nicht so deutlich, das die Beamten misstrauisch wurden. Für sie ist der Fall endlich gelöst. Da Stausberg als Geisteskranker (Imbeziller) unter den damaligen §51 des Strafgesetzbuches fiel, wurde er in die Psychatrie eingewiesen.[1]
Das ein anderer sich selbst seiner Taten bezichtigt, scheint Kürten nicht gestört zu haben, zumal es ein Schwachsinniger (so die Bezeichnung damals) war. Im Gespräch mit Prof. Sioli sagte er:
„Und da habe ich so bei mir gedacht, ach, mag er sich bezichtigen, das nützt ihm nichts und schadet ihm auch nichts. Denn aus der Haft entlassen hätten sie Stausberg ja auch schon mit Rücksicht auf die Schlingengeschichte nicht mehr. Wohl habe ich mich schon mal mit dem Gedanken beschäftigt, was für Augen die maßgebenden Stellen, insbesondere die hochwohllöbliche Kriminalpolizei, machen würden, wenn ich nachher komme und sage: ‚Ich war das‘. Denn diese Absicht, dieses mal auszuführen, habe ich doch schon gehabt.“[2]
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[1] Karl Berg: Der Sadist, S.76ff. Siehe auch: Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.26. und Ernst Gennat: Der Prozeß, S.208.
[2] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.169.
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Kriminalistik (2): Die Gerichtsmedizin

Die Geschichte der Gerichtsmedizin ist fast so alt wie die der Kriminalistik, ihre Wurzeln reichen bis in die Antike zurück. Heute hat sie beinahe eine unheimliche Präsenz in allerlei Fernsehserien wie Quincy, Bones – die Knochenjägerin, Crossing Jordan und natürlich in zahlreichen Tatort-Folgen. 
1532 schuf die Constitutio Criminalis Carolina einen neuen einheitlichen Standard der damaligen modernen Gerichts- medizin für die folgenden Jahrhunderte. Im Laufe des 17.Jahrhunderts wurde Obduktionen üblich. Im 19.Jahr- hundert entwickelten sich gerichtsmedizinische Institute, in denen sich Mediziner auf die Arbeit in der Rechtsmedizin spezialisieren konnten. Seit dem späten 18.Jahrhundert beschäftigten sich Gerichtsmediziner nicht nur mit den Opfern, sondern zunehmend auch mit den Tätern. Die Zurechnungsfähigkeit rückte im Strafrecht mehr in den Fokus bei der Rechtsprechung und die Beurteilung fiel den Medizinern zu. In dieser Tradition stehen auch die Gespräche Kürtens mit Prof. Berg und Prof. Sioli.
Einer der ersten bedeutenden Fälle der Gerichtsmedizin war ein Fall aus Zeitz in der Nähe von Leipzig. Eine junge, unverheiratete Frau war schwanger geworden, hatte das Kind entbunden und dann behauptet, es sei eine Totgeburt gewesen. Die Nachbarn suchten nach der Leiche des Sauglings und fanden ihn im Garten. Kindstötungen waren in der damaligen Zeit nicht ungewöhnlich und eigentlich schien der Fall klar, hatte der Säugling doch eindeutige Verletzungen am Kopf. Der Stadtarzt, Johannes Schreyer, glaubte der jungen Frau, das eigentlich noch ein Mädchen war, jedoch und behauptete, die Verletzungen am Kopf stammten von der Suche nach dem Leichnam. Nun musste er beweisen, dass das Kind bei der Geburt tot war. Schreyer erfand die Lungenschwimmprobe. Die Lunge eines ungeborenen Säuglings ist kompakt und gefaltet und entfaltet sich erst mit dem ersten Atemzug. Sinkt die dem Leichnam entnommene Lunge im Wasser, hat der Säugling demnach nicht geatmet. So konnte er nachweisen, dass der Säugling bereits bei der Geburt tot gewesen war.
Nicht nur bei Kindsmorden ermittelten die Gerichts- mediziner. Auch bei Gewaltdelikten war es ihre Aufgabe die „tödliche Wunde“ zu bestimmen, auch wenn das bei dem damaligen Kenntnsistand der Mediziner nicht immer einfach war. Bei Sittlichkeitsdelikten, zumeist Vergewaltigungen untersuchten Gerichtsmediziner die Opfer, doch die vorherrschende Meinung der Gesellschaft meinte es bis ins 19.Jahrhundert nicht gut mit vergewaltigten Frauen, es sei denn sie waren zu dem Zeitpunkt noch Jungfrauen. 
Darüber hinaus gewann die gerichtliche Psychologie einen immer höhereln Stellenwert. Glaubte man im 17.Jahrhundert noch an Dämonen, schien Geisteskrankheit im 18.Jahrhundert eine Folge körperlicher Unzulänglichkeiten zu sein. Im 19.Jahrhundert verfolgte man Theorien der Degeneration und Nervenschwäche. 
Ein weiterer Arbeitsbereich der Rechtsmedizin war und ist die Identitätsermittlung. Heute wird dies über den Zahnstatus, besondere körperliche Merkmale und DNS- Analysen geleistet. Seit dem 19.Jahrhundert beschäftigte sich die Gerichtsmedizin mit der Identitätsermittlung. Zur Alterbestimmung verwendete man die Untersuchung der Zähne, genauer der Zahnzementringe. Ein weiteres probates Mittel war die „Moulage“. Der Anatom Wilhelm His sollte 1894 die Gebeine eines älteren Mannes identifzieren, die man bei Umbauarbeiten der Johanneskirche in Leipzig gefunden hatte und über deren Identität es nur mündliche Überlieferungen gab. His hatte vorher die Weichteildicke bei Europäer untersucht und hatte eine weitgehende Konstanz entdeckt. Er beauftragte einen Bildhauer einen Schädelabdruck entsprechend seinen Erkenntnissen mit Weichteilen zu modellieren. Es entstand eine Büste, die zeitgenössischen Porträts eines bekannten Komponisten so sehr glich, dass eine Prüfungskommission unzweifelhaft die Identität feststellen konnte: Es war Johann Sebastian Bach. 
In den 1930er Jahren fertigte der Erkennungsdienst der Wiener Polizei nach diesem (inzwischen verbesserten Vorbild) jährlich 120 Abgüsse von Gesichtern und Körperteilen.
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[1] Peter Becker: Dem Täter auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminalistik, Darmstadt 2005 S.42-62.

Kriminalistik (1): Der Fingerabdruck

Nach dem Mord an Rudolf Scheer lief Kürten zurück, um die Stiefel von Fingerabdrücken zu reinigen. Offensichtlich wusste er also von der Bedeutung dieser kriminalistischen Ermittlungsmethode. Für den regelmäßigen Zuschauer von Krimis in Kino und Fernsehen und den Leser von Kriminalromane ist diese Form der „heißen Spur“ fast alltäglich geworden.
Erste Vorschläge zur Verwendung von Fingerabdrücken erreichten 1888 das preußische Innenministerium. Noch 1897 allerdings, knapp 30 Jahre vor Kürtens Düsseldorfer Mordserie, bezweifelte der Heidelberger Professor Arthur von Kirchenheim die Anwendbarkeit des Fingerabdrucks als Identifizierungsmerkmal. Das Problem bestand darin, dass man die „chaotischen“ Abdrücke in einen numerischen Code transformieren musste, um einen gefundenen Fingerabdruck mit Vergleichsmustern überprüfbar zu machen.
Weitere Probleme waren die Anerkennung bei der Polizei selbst, die Ausrüstung der dezentralen  und städtisch geführten Polizei (bis 1920) mit der Entsprechenden Einrichtung und die Anerkennung der Justiz für dieses neue Beweismittel. 1912 hatten von 1104 preußischen Amtsgerichtsbezirken 83% kein Einrichtung zur Erfassung von Fingerabdrücken. Erst in der Weimarer Republik begann man den Aufbau von Landeskriminalämtern, wo die Registraturen der Fingerabdrücke angesiedelt wurden, um die Arbeit der Kriminalisten zu vernetzen.
Die erste Aufklärung eines Mordfalles in Deutschland mithilfe der Daktyloskopie gelang 1914 in Dresden. Sachsen hatte bereits 1903 eine „Fingerabdruckzentrale“ eingeführt, nur zwei Jahre nach  Scotland Yard. Am 4.Juli war die Beamtenwitwe Anna Maria Lehmann einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Die Spurensicherung, die mit Hilfe von Aluminiumpulver arbeitete, fand drei Fingerabrücke und stellte sie sicher. Diese Art des Vorgehens hatte der Kriminalist Robert Heindl veranlasst. Am 20.Juli – bisher waren die Ermittlungen der Polizei komplett im Sande verlaufen – vermeldet schließlich ein Kriminalbeamter eine Übereinstimmung zwischen den gefundenen und den in der Registratur vorhandenen Fingerabdrücken. Eine Schneiderin namens Müller wurde fesgtenommen, leugnete jedoch standhaft die Tat. Schließlich kam die Tat vor das Schwurgericht, das die Schneiderin schuldig sprach – wegen des gefundenen Fingerabdrucks.
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[1] Peter Becker: Dem Täter auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminalistik, Darmstadt 2005 S.114-135.

Ermittlungen (2): Die Suche nach dem Täter

Mit der Ermordung der Rosa Ohliger setzten die Ermittlungen der Kriminalpolizei ein, mit dem Fall Scheer und der Wahrnehmung des Falls Kühn begann die Jagd auf einen Serientäter. Ein erster Verdacht fiel auf „Imbezillen“, also geistig behinderten Schwitzer, der am 24.November 1928 aus der Heil- und Pflegeanstalt in Grafenberg entwichen war. Dieser Schwitzer hatte 1925 in Kreutzberg an der Ahr ein 11jähriges Mädchen in seine Wohnung gelockt, vergewaltigt und mit mehreren Stichen getötet. Die Leiche versteckte er auf dem Speicher und zündete das Haus später an. Die Ähnlichkeiten mit dem Fall Ohliger waren für die Kripo offensichtlich und sie ließen mit Hochdruck nach Schwitzer fahnden. Dieser wurde schließlich in Köln festgenommen, hatte aber mit der Ermordung der Rosa Ohliger nichts zu tun.
14 Tage später verkündete die Polizei eine weitere Festnahme: Der Reisende Richard Schengel. Dieser war im November 1928 wegen eines Sittlichkeitsverbrechens an einem 6jährigen Kind angeklagt, konnte aber später ein Alibi nachweisen. Nach dieser falschen Festnahme wurde die Polizei mit der Veröffentlichung von Festnahmen vorsichtiger.[1]
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[1] Kriminal-Magazin: Der Massenmörder von Düsseldorf, S.27.
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Ermittlungen (1): SchuPos, Landjäger und Kommissare

Wie sah die Polizei eigentlich 1929 aus?

In der Kaiserzeit, die Ende 1918 abgedankt hatte, war die Stadt zuständig für die Polizei. Der Bürgermeister führte sie und erhielt die Ordnung im Namen des Königs aufrecht.[1] Nach der Revolution war dieses Modell nicht mehr praktikabel. In Düsseldorf wurden 1919 ehemalige Soldaten, die das „Sicherheitsregiment“ des Arbeiter- und Soldatenrates stellten, der Polizei zugeordnet, als klar war, dass Düsseldorf nun zur neutralen Zone im Rheinland gehörte und keine Soldaten hier stationiert sein durften.[2] In der Weimarer Republik gründete man eine gut bewaffnete, grün unifomierte Sicherheitspolizei (SiPo), die oft aus Freikorps-Männern bestand. Mit den Resten der blau-uniformierten „kaiserlichen“ Polizei wurde sie 1920 zur neuen Schutzpolizei (SchuPo) zusammengelegt. Auf Druck der Alliierten wurde die Bewaffnung abgeschwächt und die Uniform wieder blau.[3]
Als die Stadt 1921 besetzt wurde, entwaffneten die Franzosen die Schutzpolizisten, die darauf gegen den Aufstand der Separatisten relativ hilflos waren.[4]
Auf dem flachen Land gab es auch eine Änderung. Bis 1918 war hier die militärische Gendarmerie zuständig, in Preußen (auch die Weimarer Republik war föderal) und damit auch in den preußischen Rheinlanden ersetzten nun die Landjäger unter Aufsicht der Landräte die Gendarmerie.[5]
Eine bedeutende Änderung gab es auch im Bereich der Anwerbung und Ausbildung der SchuPos. Im Kaiserreich kamen die zukünftigen Polizisten über die allgemeine Wehrpflicht des Heeres zu ihrer Berufsausbildung, nun wurden überall im Land Provinzialpolizeischulen eingerichtet, in denen Anwärter ein Jahr lang militärisch-polizeilich ausgebildet wurden, um dann als Polizeiwachtmeister „auf Probe“ einer Bereitschaft zugeteilt wurden. Mit dem 7.Dienstjahr folgte in der Regel die Beförderung zum Polizeioberwachtmeister und Zuteilung zur Landjägerei, Kriminalpolizei, der neuen Verkehrspolizei, Revieren in den Städten usw. Mit der Vollendung des 32.Dienstjahres und somit mit 12 Dienstjahren wurden sie auf Lebenszeit verbeamtet.[6] Eine prägende Rolle spielte dabei Carl Severing, der von 1920-26 preußischer Innenminister, von 1928-30 Reichs- innenminister und von 1930-32 noch einmal preußischer Innenminister war.[7]
Die Verstaatlichung der Polizei in Düsseldorf, die schon seit 1920 angekündigt war, fand jedoch erst am 1.Juli 1926 statt. Dieser Tag ist auch das Gründungsdatum der Düsseldorfer Kriminalpolizei. Schon am 10.März des Jahres übernahm der ehemalige Berliner Landgerichtsdirektor Hans Langels die Vorbereitungen für die Verstaatlichung. Er wurde dann der erste Düsseldorfer Polizeipräsident, das Präsidium befand sich damals in der Mühlenstraße bis 1933 das heutige Polizeipräsidium am Jürgensplatz (damals Kavallerieplatz) bezugsfertig war. Die Grundsteinlegung fand zur Zeit der Kürtenschen Morde statt: am 12.Oktober 1929.[8]

 

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[2] Hugo Weidenhaupt: Kleine Geschichte der Stadt Düsseldorf, Düsseldorf 6.Auflage 1976, S.154.
[3] Paul Riege: Kleine Polizei-Geschichte, Lübeck 1954, S.34.
[4] Hugo Weidenhaupt: Kleine Geschichte der Stadt Düsseldorf, Düsseldorf 6.Auflage 1976, S.157.

[5] Paul Riege: Kleine Polizei-Geschichte, Lübeck 1954, S.37.
[6] Paul Riege: Kleine Polizei-Geschichte, Lübeck 1954, S.36.
[7] Paul Riege: Kleine Polizei-Geschichte, Lübeck 1954, S.41.
[8] Klaus Dönecke: 80 Jahre staatliche Polizei in Düsseldorf, Homepage des Polizeipräsdiums Düsseldorf. (abgerufen am 10.02.2011)

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