An dieser Stelle sollen die Plädoyers der Staats- anwaltschaft, des Verteidigers Dr.Wehner und Kürtens Schlußrede vorgestellt werden. Vom Plädoyer des Staatsanwalts liegen in den mir zur Verfügung stehenden Quellen nur die Schlußworte vor, die daher hier zitiert werden sollen:
„Das Gesamtbild, das der Prozeß von den Verbrechen und der Täterpersönlichkeit gegeben hat, hat eine solche abgrundtiefe Verkommenheit, eine solche Gefährlichkeit des Täters und eine solche Menge Opfer gezeigt, daß wir nur hoffen können, daß sich ein solcher Fall niemals wiederholen möge. Wenn jemals ein Lustmörder die Todesstrafe verdient hat, so ist es Peter Kürten.“[1]
Die Verteidigungsrede Dr.Alex Wehners ist 1937 abgedruckt worden und steht deshalb in voller Länge zur Verfügung. Er begann sie mit einer Beschreibung der Ungeheuerlichkeit der Verbrechen Kürtens, die in der Kriminalgeschichte bisher unerreicht sei. Als besonders stellte er im Vergleich zu anderen Serienmördern der Weimarer Republik heraus, dass Kürten Frauen, Männer, junge Mädchen, Kinder und Tiere getötet hat. Anschließend beschrieb Wehner, dass er von vielen Seiten und der Öffentlichkeit gefragt wurde, wie man denn Kürten noch verteidigen könne, ja, warum er überhaupt einen Verteidiger gestellt bekomme. Wehner stellte daraufhin klar, dass es nicht die Aufgabe der Verteidigung sei, das eigene Ich aufzugeben, sondern er sei als Teil der Rechtspflege daran interessiert die Wahrheit zu suchen und zu finden. Er mahnte dann die Geschworenen als Teil seiner Aufgabe als Verteidiger, die „rein gefühlsmäßige Abscheu“ zugunsten der objektiven Einstellung gegen über dem Angeklagten und dessen Taten zurückzustellen.
Wehner erklärte dann, dass mit der Verhaftung Kürtens am 24.Mai 1930 noch nicht feststand, dass man den Düsseldorfer Serienmörder gefunden habe. Anhand der spärlichen Indizen (z.B. die Mörderbriefe) und der Aussage Auguste Kürtens, hätte man ihm wohl nur den Fall Budlies und den Fall Schulte nachweisen können. Allein das Geständnis Kürtens habe vollständige Klarheit geschaffen und damit die Möglichkeit eine umfassende Anklage vor Gericht zu bringen. Wehner betonte, dass er selbst der Meinung sei, dass Kürten der Täter wäre und dieser habe ihn auch beauftragt noch einmal klar zu stellen, dass er der langgesuchte Mörder sei.
Der Verteidiger fuhr dann fort, in dem er darlegte, dass die zahlreichen Gutachter Kürten nicht für geisteskrank im Sinn des §51 und damit strafrechtlich verantwortbar für seine Taten erklärten. Doch Wehner fragt an die Geschworenen gerichtet, ob die Taten Kürtens an sich nicht schon bewiesen, dass mindestens eine Grenzfall im Sinne des §51 vorliege.
„Dies wird insbesondere dann klar, wenn wir uns selbst überlegen, daß wir doch alle psychisch einfach nicht in der Lage wären, solche Taten zu begehen, während bei Kürten nicht nur keine Hemmungen vorhanden waren, sondern ein äußerst starker Trieb, diese Taten zu begehen und einer Art zu häufen, daß wir vor einem psychologischen Rätsel stehen.“[2]
Er führte weiter aus, dass die Gutachter Kürten erst später – nach den Taten – kennen lernten und untersuchten. Im Anschluß daran kam Wehner auf den Werdegang Kürtens zurück, der auch schon von der Anklage gewürdigt worden sei, um dann darauf aufbauend wieder auf den Paragrafen 51 zurückzukommen.
Sollten die Angeklagten die Voraussetzungen für § 51 nicht bejahen, so erklärte Wehner, müssten sie weiterhin prüfen, ob im Sinne des „§211 StrGB“ der Vorsatz der Tötung vorgelegen habe und ob die Tat mit Überlegung ausgeführt worden sei. Wehner selbst beantwortet die erste Frage eindeutig: Der Vorsatz der Tötung habe in allen Fällen mit Ausnahme der Lierenfelder Messerstechereien vorgelegen. Zur zweiten Frag erklärte er, dass jede ohne eine Überlegung ausgeführte Handlung als Totschlag und nicht als Mord zu werten sei. Wehner geht anschließend ausführlich auf die rechtlichen Grundlagen des Konstrukts der „Überlegung“ ein, dessen Wiedergabe an dieser Stelle aber zu weit führen würde. Wehner bezweifelte jedoch die Mordabsicht und sprach im Hinblick auf die Überlegung, also die Frage ob ein Mord oder ein Totschlag vorlag, die einzelnen Fälle durch. Auf eine detaillierte Vorstellung der Argumente soll an dieser Stelle ebenfalls verzichtet werden: In den Fällen Klein, Scheer, Reuter, Dörrier, Kühn, Schulte, Meurer, und Wanders verneinte Wehner eine Mordabsicht Kürtens. In den Fällen der Kinder Ohliger und Albermann kam er eindeutig zu der Feststellung, dass eine Überlegung stattgefunden habe, bei den Fleher Kindermorden zweifelte er und verwies deswegen die Geschworenen auf den juristischen Grundsatz in dubio pro reo, sie müssten also Totschlag annehmen. Im Fall Maria Hahn verzichtete Wehner aufgrund des „schaurigen Tatbestands“ auf eine „rechtliche Würdigung“. Besonders die Tatsache, dass Peter Kürten ín vielen Fällen auf eine Tötung verzichtete, zeigte für Wehner, dass er nicht mit einer Mordabsicht losgegangen sei und dass die sexuelle Erregung dafür verantwortlich sei, ob ein Totschlag folgte – oder nicht.
Wehner schloss seine Verteidigungsrede mit dem Hinweis, dass sich die Gefängnistore hinter dem Angeklagten für immer schließen würden. Er habe sich schwer an der Menschheit vergangen und er werde das Urteil der Geschworenen als gerechte Sühne für seine furchtbaren Taten annehmen. Ausdrücklich bat er dann die Geschworenen den Angeklagten nicht der menschlichen Verachtung anheim fallen zu lassen.
„Wird so nicht auch der Angeklagte das Recht haben, seinerseits Anklage zu erheben gegen sein Schicksal und zu sagen:
Warum bin ich geboren als der Sohn eines Trinkers, eines Sexualverbrechers?
Warum bin ich nicht geboren im lichten Raum?
Warum bin ich ohne Erziehung wie Unkraut am Wege aufgewachsen?
Warum habe ich diese scheußliche Veranlagung, die geschlechtliche Perversion, mit zur Welt gebracht?
Warum bin ich nicht geboren als ein Mensch, wie sie hier um mich versammelt sind?, für die es einfach eine Unmöglichkeit wäre, solche Taten zu begehen, ohne daß es ihr eigenes Verdienst ist?“[3]
Wehner ermahnte noch einmal die Geschworenen nach Recht und Gesetz zu entscheiden und aus Kürten keine Bestie zu machen und ihn aus der menschlichen Gesellschaft auszuschließen. Mit seinen letzten Worten zur Verteidigung Kürtens zitierte er die Worte, die Annette von Droste Hülshoff ihrer Novelle „Die Judenbuche“ voran gestellt hat.[4] (Leseprobe „Die Judenbuche“ auf lyrikwelt.de, die kursiv gesetzten Worte sind gemeint.)[5]
Peter Kürten versuchte in seiner Schlußrede nicht seine Taten „in irgendeiner Form zu entschuldigen“. Allerdings wies er daraufhin, dass einige Ärzte mehr als anderthalbtausend Morde begangen hätten und bezog sich damit auf eine Abtreibungsaffäre zweier kommunistischer Ärzte in Stuttgart. Dann wandte er sich an Prof.Sioli und hielt ihm vor, dass er sein Elternhaus als nicht mitbestimmend für seiner Entwicklung ansah. (Sioli sagte in seinem Gutachten, das Erbanlage das eine sei, die Verantwortung für den Umgang damit müsse jeder selbst tragen). Er wies den Vorwurf des Oberstaatsanwalts zurück, dass er sein Geständnis aus Feigheit zurückgezogen habe, er habe dies nur wegen seiner Frau getan. Dann wandte er sich an die Presse und lobte deren maßvolle Bericht- erstattung, die er aufmerksam verfolgt habe, da er sich selbst in seiner Jugend an der Sensationspresse berauscht habe. Die Öffentlichkeit würde so nicht vergiftet werden. Daraufhin rief ihm ein Presseverteter ein ironisches „Wir danken!“ zu. Dann ging er auf einige Opfer ein, die es ihm zu leicht gemacht hätten, da sie mit ihm in den Wald gegangen seien. „Der Drang nach dem Manne nimmt ja immer ungewöhnlichere Formen an.“, kommentierte er dies, was ihm einen Ordnungsruf des Vorsitzenden einbrachte. An- schließend bat er die Angehörigen der Opfer, so weit es ihnen möglich sei, ihm zu verzeihen und stellte klar, dass er die Opfer nie gequält habe. [6] Seine Rede endete mit den Worten:
„Und wenn Sie dieses alles in Betracht ziehen und meinen guten Willem, alle Taten zu sühnen und Buße zu tun, erkennen, dann glaube ich doch, daß das große Rache- und Haßgefühl gegen mich nicht nachhalten wird, und ich möchte Sie bitten: Seien Sie versöhnt!“[7]
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[1] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.255.
[2] Alex Wehner: Verteidigungsrede für den Düsseldorfer Massenmörder Kürten, S.220.
[3] Alex Wehner: Verteidigungsrede für den Düsseldorfer Massenmörder Kürten, S.235.
[4] Alex Wehner: Verteidigungsrede für den Düsseldorfer Massenmörder Kürten, S.213-235.
[5] Die Judenbuche (Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen) Leseprobe: http://www.lyrikwelt.de/gedichte/droste-huelshoffg6.htm (abgerufen am 16.03.2011)
[6] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.256ff..
[7] Lenk / Kaever (Hg.): Peter Kürten, S.258.
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Die vollen bibliographischen Angaben, soweit hier nicht genannt, sind am unteren Ende der Seite aufgeführt.