Die aufkommende Fotografie wurde in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts immer öfter auch in der Kriminalistik angewandt. Dabei gab es zwei Aufgabenbereiche: der Erkennungsdienst und die Spurensicherung am Tatort, die beide im Fall Kürten zum Einsatz kamen.
Seit den 1860er Jahren begann man in allen größeren Städten Deutschlands Verbrecheralben anzulegen, die erstmals eine indirekte Gegenüberstellung zwischen Opfern und Tätern ermöglichte und die Identifizierung und Fahndung erleichterte. In Danzig legte man in den 1860er Jahren ein Verzeichnis von Taschendieben an, in Berlin begann man 1876 mit Bauernfängern. Die Berliner Verbrecherkartei beinhaltete 1909 23.533 Fotografien, in Hamburg schaffte die fotografische Anstalt der Polizei von 1889 bis 1912 900.000 Fotografien, darunter 2000 Handschriften-Bilder und 1300 Tatort-Fotos.
Mit der steigenden Zahl an Fotografien benötigte man auch eine Ordnung. Die erste sortierte die Verbrecher anhand ihrer „Branche“, sodass zum Beispiel alle Anarchisten in einer Schublade landeten. Der bekannte Dresdner Kriminalist Robert Heindl, der auch die Methode der Fingerabdrücke revolutionierte, führte um die Jahr- hundertwende die Ordnung nach Größe, Alter und Verbrechenskategorie (in dieser Reihenfolge) ein, da er ermittelt hatte, dass Zeugen Größe und Alte am Besten einschätzen konnten. In Frankreich gab der Spezialist des Erkennungsdienstes, Alphonse Bertillon, den Polizisten ein Verbrecheralbum im Taschenformat mit auf Streife, das 2000 Doppelfotografien enthielt und nach Nasenform, Ohrenform, Körpergröße, Alter und Augenfarbe sortiert war. Alphonse Bertillon hatte bereits 1888 die Nutzung der Fotografie im Erkennungsdienst standardisiert. Der Fokus der Aufnahmen sollte bei allen Aufnahmen identisch sein. Zu diesem Zweck brachte er zwei Linien auf der Mattscheibe an, die es dem Fotografen erleichtern sollten, stets die gleiche Position von äußerem Augenwinkel und Ohrmitte bei Profilaufnahmen zu erreichen. Außerdem ließ er eine Apparatur anfertigen, die Kamera und Sitzgelegenheit des Verbrechers beinhaltete. Der Stuhl war dabei höhenverstellbar und so geformt, dass ein bequemes Sitzen nur in einer Position möglich war.
Doch trotz aller Bemühungen erwies sich das Verbrecheralbum als zu unpraktisch und wurde bald von der Daktyloskopie verdrängt.
Seit dem frühen 20.Jahrhundert wurde die Tatort-Fotografie umfassend in der Spurensicherung angewendet. Bis dahin hatte sich die Polizei mit Zeichnungen und Skizzen behelfen müssen und war auf die Kunstfertigkeit des Zeichners angewiesen, der den Tatort nach eigenem Anschauen darstellen musste. Die Fotografie eliminierte, so hoffte man, den menschlichen Faktor in diesem Arbeitsbereich der Spurensicherung. Das größte Problem dabei war, einen dreidimensionalen Tatort in eine zweidimensionale Fotografie umzuwandeln. Eine Skala, die mitfotografiert wurde, schaffte hier Abhilfe. Allerdings gelang es nicht, die Tatort-Fotografie zu standardisieren, z.B. im Hinblick auf Brennweite und Aufnahmewinkel, da die örtlichen Umstände es nicht zuließen. [1]
Dennoch lautet das Urteil des Historiker Peter Becker:
„Die Fotografie revolutionierte die Spuren- sicherung, die Auswertung der Spuren und die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Instanzen des Ermittlungs- und Strafverfahrens. Sie ermöglichte die Zirkulation von Beweismitteln ebenso wie von Portraits gesuchter bzw. zu identifizierender Verbrecher.“[2]
Lichtbild (9): Der Serienmörder von Düsseldorf. Lichtbilder von Peter Kürten
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[1] Peter Becker: Dem Täter auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminalistik, Darmstadt 2005 S.65-88.
[2] Peter Becker: Dem Täter auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminalistik, Darmstadt 2005 S.88.